1.1 Rechtsentwicklung
Rz. 1
§ 70 EStG wurde durch das JStG 1996 v. 11.10.1995 im Zusammenhang mit der Umgestaltung des bisherigen Kinderlastenausgleichs zum sog. Familienleistungsausgleich mit Geltung ab Vz 1996 eingefügt. Durch das JStErgG v. 18.12.1995 wurde zur Beseitigung materieller Festsetzungsfehler Abs. 3 angefügt. Das JStG 1997 v. 20.12.1996, das StEntlG 1999/2000/2002 v. 24.3.1999 und das FamFG v. 22.12.1999 brachten redaktionelle Änderungen.
Durch das Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss v. 13.12.2006 wurde Abs. 1 S. 2 mit Wirkung ab 2007 aufgehoben. Um das bei der Arbeitsverwaltung eingespielte Verfahren nach dem BKKG a. F. beibehalten zu können, wurde nach Abs. 1 S. 2 a. F. in den abschließend aufgezählten Fällen (dem Antrag wurde stattgegeben, der Berechtigte hatte den Wegfall der Berücksichtigungsvoraussetzungen angezeigt, das Kind hat das 18. Lebensjahr vollendet) auf eine förmliche Verbescheidung verzichtet. Auch hier erging allerdings ein (konkludenter) Bescheid, der erst mit Bekanntgabe wirksam wurde (§ 124 Abs. 1 AO). Es wurde lediglich auf die Förmlichkeiten der Schriftform verzichtet. Die Bekanntgabe geschah z. B. durch die Auszahlung des Kindergelds oder durch die Einstellung der Zahlung. Der materielle Bescheidsinhalt ergab sich aus der Aktenverfügung (Tz. 70.2 Abs. 1 DA-FamEStG). Auch wenn in diesen Fällen ein schriftlicher Bescheid nicht erforderlich war, konnte die Familienkasse aus Gründen der Klarheit im Einzelfall gleichwohl einen förmlichen Bescheid erlassen.
Bis 2008 war daher in jedem Fall das Kindergeld durch schriftlichen Bescheid nach Abs. 1 festzusetzen. Die Gesetzesänderung liegt im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für die Kindergeldberechtigten und dient auch der Selbstkontrolle der Verwaltung.
Durch das FamLeistG v. 22.12.2008 wurde dem Abs. 2 ein S. 2 angefügt. Danach kann von der Erteilung eines schriftlichen Bescheids abgesehen werden, wenn die Änderung der Kindergeldfestsetzung nur wegen der Erhöhung der Kindergeldbeträge ab 2009 erforderlich ist.
Das ZKAnpG v. 22.12.2014 führte m. W. v. 1.1.2015 zu einer Änderung des § 70 Abs. 3 EStG, der sprachlich an die anderen Korrekturvorschriften in § 70 EStG und in der AO angepasst wird.
Mit dem Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch v. 11.7.2019
wurden in § 70 Abs. 1 EStG die S. 2 und 3 EStG eingefügt; zeitgleich wurde § 66 Abs. 3 EStG aufgehoben. Mit Wirkung ab 19.7.2019 gilt eine rückwirkende Auszahlungsbeschränkung des Kindergeldes.
1.2 Bedeutung
Rz. 2
Die Vorschrift regelt als zentrale verfahrensrechtliche Bestimmung die formale Abwicklung des Verhältnisses zwischen dem Kindergeldberechtigten und der Familienkasse. Nach § 70 Abs. 1 EStG ist das Kindergeld in allen Fällen durch Bescheid festzusetzen. § 70 Abs. 2 bis 3 EStG enthalten die Korrekturvorschriften der ergänzenden eigenständigen Änderungsregelungen, die die Besonderheit der Kindergeldfestsetzung als Dauerverwaltungsakt berücksichtigen, auf die die AO-Korrekturvorschriften nicht zugeschnitten sind. Daneben sind die Korrekturvorschriften der §§ 129, 172ff. AO anwendbar. § 70 Abs. 2 EStG betrifft die Änderung einer sachlich richtigen Kindergeldfestsetzung wegen Änderung in den Verhältnissen ab dem Zeitpunkt der Änderung. § 70 Abs. 3 EStG ermöglicht die Änderung mit Wirkung für die Zukunft wegen materieller Fehler der Festsetzung. Der ab dem Jahr 2012 aufgehobene Abs. 4 betraf die Korrektur einer vor oder während des Kj. ergangenen Prognoseentscheidung bei nachträglichem Bekanntwerden einer Grenzbetragsüber- oder -unterschreitung.