2.1 Unterhaltspflichtverletzung (Abs. 1 S. 1 bis 3)
Rz. 3
Die gesetzliche Unterhaltsberechtigung gegenüber Kindern ergibt sich aus §§ 1601ff. BGB. Der volljährige Unterhaltsberechtigte kann so den Anspruch auf Auskehr des Kindergelds gegen einen Elternteil, gegen den ein Titel über Barunterhalt besteht, ohne ein Abänderungsverfahren eigenständig geltend machen. Der Anspruch auf Auskehr des Kindergelds ergibt sich aus § 1601 BGB analog. Keine Unterhaltspflicht besteht gegenüber Pflegekindern und gegenüber den Kindern des Ehegatten (Stiefkinder); eine Abzweigung des Kindergelds, das Pflege- oder Stiefeltern zusteht, scheidet daher aus. Die gesetzliche Unterhaltspflicht besteht auch gegenüber Adoptivkindern (§§ 1741ff. BGB). Entscheidend ist die Verletzung der gesetzlichen, nicht etwa einer vertraglich übernommenen Unterhaltsverpflichtung.
Rz. 4
Die Unterhaltspflichtverletzung setzt voraus, dass im konkreten Fall ein Unterhaltsanspruch besteht. Dies setzt Unterhaltsbedürftigkeit (§ 1602 BGB) und Unterhaltsfähigkeit (§ 1603 BGB) voraus. Unterhaltsbedürftig ist, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Nicht bedürftig ist ein Kind, das über hinreichende eigene Einkünfte (z. B. Ausbildungsvergütung) verfügt. Nicht leistungsfähig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Die Höhe des Unterhaltsanspruchs bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (§ 1610 BGB). Gegenüber minderjährigen Kindern besteht eine erhöhte Unterhaltspflicht (§ 1602 Abs. 2 BGB). Nach § 74 Abs. 1 S. 3 EStG kommt eine Abzweigung aber auch dann in Betracht, wenn der Berechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltsverpflichtet ist (§ 1603 BGB) oder nur einen geringeren Betrag als das Kindergeld leisten kann. Das Kindergeld kann auch dann abgezweigt werden (analog § 74 Abs. 1 S. 1, 3 EStG), wenn der Berechtigte dem Kind trotz Leistungsfähigkeit keinen Unterhalt leistet, seine Unterhaltsverpflichtung dadurch aber nicht verletzt, weil er sie bereits durch Gewährung einer angemessenen Ausbildung erfüllt hat und deshalb nicht mehr verpflichtet ist, dem Kind wegen einer Zweitausbildung Unterhalt zu leisten oder weil das Kind nicht bedürftig ist.
Nach § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB erfüllt der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, seine Unterhaltsverpflichtung i. d. R. durch Haushaltsaufnahme, die Pflege und Erziehung des Kindes. Unerheblich ist dabei, ob der Elternteil über eigene Einkünfte verfügt oder Grundsicherungsleistungen erhält. Kommt er dieser Verpflichtung nach, fehlt es an einer Unterhaltspflichtverletzung. Die Abzweigungsvoraussetzungen liegen dann nicht vor. Ebenso ist es, wenn die Unterhaltsgewährung in besonderen Fällen nicht in einer Geldrente, sondern durch Sachleistungen (Verpflegung, Unterkunft, Kleidung) erbracht wird (§ 1612 BGB). Der Naturalunterhalt muss tatsächlich erbracht werden. Das Angebot dazu reicht nicht aus.
In der Haushaltsaufnahme des volljährigen Kindes durch den Kindergeldberechtigten liegt allerdings dann keine Unterhaltsgewährung, wenn das Kind selbst Leistungen der Grundsicherung bezieht, die auch Unterkunft und Verpflegung umfasst, und der Kindergeldberechtigte nur Regelleistung für seinen eigenen Bedarf erhält.
Rz. 4a
Bei behinderten Kindern, die teilstationär untergebracht sind und darüber hinaus bei dem Berechtigten leben, kommt es auf den Einzelfall an. Die Vermutung, wonach die Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten bei Haushaltsaufnahme des Kindes den Kindergeldsatz erreichen, ist bei behinderten Kindern ausgeschlossen, weil es insoweit auf eine Vielzahl von Faktoren ankommt (Rz. 11).
Rz. 4b
Die Familienkasse muss die Unterhaltsverpflichtung und ihre Höhe im Einzelfall ermitteln. An einen rechtskräftigen Unterhaltstitel ist sie grundsätzlich gebunden. Da die gesetzliche Unterhaltspflicht entscheidend ist, besteht keine Bindung an eine individuelle Unterhaltsvereinbarung. Sie kann jedoch ebenso wie die von der Rspr. entwickelten Tabellen (z. B. Düsseldorfer Tabelle, Berliner Tabelle) eine Orientierungshilfe geben.
Rz. 4c
Nach § 74 Abs. 1 S. 3 EStG ist die Abzweigung auch möglich, wenn der Berechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in geringerer Höhe als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld zu leisten hat. Der Auszahlungsbetrag bestimmt sich nach § 74 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 76 EStG (Rz. 7). Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.
Rz. 5
Da die Abzweigung einen erheblichen Eingriff in die Rechtsstellung des Berechtigten darstellt, kann eine einmalige oder nur unwesentliche Unterhaltspflichtverletzung, z. B. bei geringfügig verspäteten Zahlungen, noch keine Abzweigung von Kindergeld begründen. Es muss sich um eine andauernde Pflichtverletzu...