Prof. Dr. Alexander Kratzsch
Rz. 92
Abs. 7 ist nur anzuwenden, soweit in sensiblen Sektoren die Förderfähigkeit nicht ausgeschlossen ist. Die sensiblen Sektoren wurden durch EU-Rechtsakte festgelegt. Der multisektorale Regionalbeihilferahmen für große Investitionsvorhaben v. 13.2.2002 (Abl EG Nr. C 70, 8) wurde durch Mitteilung v. 1.11.2003 (Abl EU Nr. C 263, 3) für die Sektoren Kraftfahrzeug- und Kunstfaserindustrie geändert. Dies wurde durch das EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz entsprechend für große Investitionsvorhaben in den Sektoren Stahlindustrie, Schiffbau und Seeverkehr ergänzt (Rz. 91). Die Rahmenbestimmungen für Beihilfen an den Schiffbau v. 31.12.2003 (Abl EU Nr. C 104, 71), die durch Berichtigung v. 30.4.2004 (Abl EU Nr. C 104, 71) ergänzt wurden, treten an die Stelle der Verordnung EG Nr. 1540/98 des Rates v. 29.6.1998 zur Neuregelung der Beihilfen für den Schiffbau. Dementsprechend wurde Abs. 8 S. 2 Nr. 2 durch das EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz angepasst (Rz. 91). Schließlich tritt die Mitteilung der Kommission "Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen im Seeverkehr" v. 17.1.2004 (Abl EU Nr. C 13, 3) an die Stelle der Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen im Seeverkehr v. 5.7.1997 (Abl EG Nr. C 205, 5), so dass auch Abs. 8 Nr. 7 entsprechend anzupassen war (Rz. 91).
Abs. 8 soll den EU-rechtlichen Anwendungsvorbehalt verdeutlichen. Im Gesetzgebungsverfahren zur Ursprungsfassung von Abs. 8 ist der erste Entwurf – strikter Ausschluss des Abs. 7 in den genannten Wirtschaftszweigen – auf Anregung des Bundesrats abgeändert worden, indem "in jedem Einzelfall zu prüfen (ist), ob sich aus den genannten (EU-)Rechtsakten für die jeweilige Investition ein vollständiger oder teilweiser Förderausschluss ergibt". Somit ist in jedem Einzelfall der "Umfang der Förderfähigkeit" (Abs. 8 S. 3) nach den EU-Vorgaben zu ermitteln (so auch Meyer, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 7g EStG a. F. Rz. 6, 11; Lambrecht, in Kirchhof/Söhn/Mellinghof, EStG, § 7g EStG a. F. Rz. 7). Da § 7g Abs. 7, 8 EStG a. F. lediglich zu einer Steuerstundung führt, dürfte im Einzelfall auch in sensiblen Bereichen nicht ohne Weiteres ein Ausschluss der Förderfähigkeit anzunehmen sein (Rz. 6).
Die OFD Hannover vertritt demgegenüber die Ansicht, dass für alle Investitionen, die innerhalb eines sensiblen Sektors getätigt werden, der Förderausschluss gegeben ist (so wohl auch Kulosa, in Schmidt, EStG, § 7g EStG a. F. Rz. 58). Es sei dabei unerheblich, ob für die gleiche Maßnahme auch außersteuerliche EU-Beihilfen gewährt worden sind.
Die Förderfähigkeit einer geplanten Investition durch einen Existenzgründer ist also nicht bereits dann ausgeschlossen, wenn die Tätigkeit des Stpfl. einen sensiblen Sektor betrifft. Vielmehr muss im Einzelfall geprüft werden, ob sich aus den einschlägigen EG-Vorschriften für die jeweilige Investition ein vollständiger oder teilweiser Steuerausschluss tatsächlich ergibt; nur dann greift das Verbot der Ansparrücklage. Für die Beratungspraxis empfiehlt es sich also, soweit es die Zeit erlaubt (u. U. langwieriges Verfahren) und aus Kostensicht angesichts der seit dem 1.1.2007 bestehenden Gebührenpflicht der verbindlichen Auskunft lohnenswert ist, evtl. schon vor der Investition als Existenzgründer beim zuständigen FA eine verbindliche Auskunft einzuholen oder auf die "normale" Rücklage des § 7g Abs. 3-6 EStG a. F. auszuweichen, soweit die dort gegebenen Voraussetzungen erfüllt sind. Dennoch wurden die Regelungen zu den Existenzgründerrücklagen von der EU-Kommission nur unter der Voraussetzung der Einführung von § 7g Abs. 8 EStG a. F. genehmigt. Das BMF gibt zur Problematik der Förderfähigkeit im konkreten Einzelfall keine über den Gesetzeswortlaut hinausgehenden Erläuterungen. Diese Lücke wird von der Finanzverwaltung zu schließen sein; anderenfalls könnten die FG u. U. dazu geneigt sein, bei nicht vollständiger Aufklärung des Sachverhalts in finanzgerichtlichen Streitigkeiten gem. § 100 Abs. 3 FGO den Verwaltungsakt aufheben.