5.12.1 Begriff
Rz. 194
Unter einer vorweggenommenen Erbfolge wird üblicherweise die jedenfalls teilweise unentgeltliche Übertragung des Vermögens (oder eines wesentlichen Teils davon) durch den (künftigen) Erblasser auf einen oder mehrere als Erben in Aussicht genommene Empfänger verstanden. Sie richtet sich im Grundsatz nicht nach Erbrecht, sondern nach den Regelungen bezüglich Rechtsgeschäften unter Lebenden mit ihren zahlreichen Gestaltungsmöglichkeiten. Das Erbrecht ist gleichwohl auch im Bereich der vorweggenommenen Erbfolge nicht ohne Relevanz. So kann die Verwendung des Begriffs "vorweggenommene Erbfolge" im Schenkungs- bzw. Übertragungsvertrag ggf. die Auslegung rechtfertigen, dass der Übertragende gleichzeitig eine Anordnung hinsichtlich der Anrechnung des Übertragungsgegenstandes auf den gesetzlichen Erbteil bzw. Pflichtteil des Übertragungsempfängers und damit zugleich auch eine Ausgleichsregelung zugunsten anderer gesetzlicher Erben treffen wollte.
Rz. 195
Gerade im Bereich der Unternehmensnachfolge bietet die lebzeitige Übertragung gegenüber einer Übertragung von Todes wegen zahlreiche Vorteile. So lässt sich z. B. der Zeitpunkt der Übertragung konkret planen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer gleitenden Übertragung der unternehmerischen Verantwortung und einer Korrektur durch den Übertragenden bei Fehlentwicklungen.
Rz. 196
Durch die vorweggenommene Erbfolge können mögliche Nachfolger bereits frühzeitig an die unternehmerische Tätigkeit herangeführt werden. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt dies durch sukzessive Übertragung von Unternehmensanteilen, wobei sich der "Senior" häufig bei einer ersten lebzeitigen Übertragung von Anteilen wenigstens die einfache Mehrheit vorbehält, um sodann zu einem späteren Zeitpunkt weitere Anteile auf den Nachfolger zu übertragen. So lässt es sich sicherstellen, dass der Nachfolger zugunsten einer kontinuierlichen Unternehmensfortführung in das Unternehmen mit zunehmender Verantwortung eingebunden und in die damit verbundenen Aufgaben eingeführt wird. Die vorweggenommene Erbfolge ist im Bereich der Unternehmensnachfolge daher regelmäßig als langfristiger Prozess anzusehen.
Rz. 197
Als wirtschaftliche und persönliche Gründe für eine Umsetzung der Unternehmensnachfolge zu Lebzeiten kommen insbes. in Betracht:
- Langfristiger Schutz des Unternehmens vor Zersplitterung,
- Sicherstellung einer kontinuierlichen Unternehmensfortführung,
- Entlastung der Senior-Generation durch Übertragung der Unternehmensführung,
- Finanzielle Versorgung bzw. Absicherung des Seniors im Alter,
- Steueroptimierung (ErbSt und ESt).
5.12.2 Maßnahmen und Gestaltungsmöglichkeiten
Rz. 198
Als Maßnahmen zur Regelung der vorweggenommenen Erbfolge sind sämtliche Rechtsgeschäfte unter Lebenden möglich, die nicht dem Erbrecht unterliegen. Es besteht keine Einschränkung auf die typischen Formen des Erbrechts, z. B. Testament, Erbvertrag oder Vermächtnis.
Rz. 199
Als Gestaltungsmittel kommen u. a. die Schenkung, die Errichtung neuer oder die Umwandlung bestehender Unternehmen sowie Regelungen in Gesellschaftsverträgen infrage. Gesellschaftsvertraglich besteht insbes. die Möglichkeit, dem Schenker fortdauernden Einfluss auf die Unternehmensführung zu sichern (selbst bei Übertragung der Anteilsmehrheit), z. B. in Form von Sonderrechten im Gesellschaftsvertrag (Mehrstimmrecht, Vetorecht, etc.), die den Schenker im Vergleich zu den übrigen Gesellschafter privilegieren. Durch ergänzende Vereinbarungen von Rückforderungsrechten im Schenkungs- und Übertragungsvertrag können zudem bestimmte Fehlentwicklungen in der Unternehmensführung abgesichert werden.
Rz. 200
Neben dem Vorbehalt von Kontrollrechten ist regelmäßig auch die finanzielle Absicherung des Schenkers ein relevantes Thema, insbes. bei einer Übertragung des Unternehmens bzw. der Unternehmensanteile als Haupteinnahmequelle. Ein geeignetes Mittel kann hierbei eine Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt sein, um den Schenker die Erträge des Vermögensstamms vorzubehalten (Rz. 45ff.). Wertsteigerungen des übertragenden Vermögens treten dann bereits bei dem Beschenkten ein, was erbschaftsteuerlich günstig ist.
Rz. 201
Sinnvoll kann im Einzelfall ggf. auch eine Übertragung des Unternehmens bzw. der Unternehmensanteile unter Vereinbarung von laufenden, vom Beschenkten zu zahlenden Versorgungsleistungen sein (Rz. 180ff.). Unter gewissen Voraussetzungen handelt es sich dabei einkommensteuerlich um eine unentgeltliche Vermögensübertragung, die sich nach den allgemeinen Regeln vollzieht. Bei Versorgungsleistungen kann der Übernehmer die von ihm gewährten Zahlungen als Sonderausgaben abziehen (§ 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG), während der Übergeber die empfangenen ...