1 Systematische Einordnung
Die Fusionsrichtlinie (FRL) dient dazu, steuerliche Hindernisse innerhalb der EU zu beseitigen. Sie regelt grenzüberschreitende Umwandlungen. Diese Umwandlungen sind Ausdruck des Binnenmarkts und dürfen durch steuerliche Regelungen nicht behindert werden. Auf rein innerstaatliche Umwandlungen ist sie – sofern sie nicht in nationales Recht umgesetzt worden ist – nicht anwendbar. Die Richtlinie gilt innerhalb der EU und gibt insoweit für Umwandlungen innerhalb der EU den Rahmen für die Besteuerung vor. Die FRL regelt dabei nur die steuerlichen Auswirkungen, nicht aber die zivilrechtlichen Rahmenbedingungen für eine grenzüberschreitende Umwandlung. Ausnahmen von den steuerlichen Regelungen der FRL können vom nationalen Recht nur unter engen Voraussetzungen gemacht werden z. B. zur Missbrauchsbekämpfung. In Deutschland ist sie in weiten Teilen in das UmwStG eingeflossen. Die Fusionsrichtlinie ist auf grenzüberschreitende Verschmelzungen, Spaltungen, Einbringungen und Anteilstäusche anwendbar.
2 Inhalt
Eine grenzüberschreitende Umwandlung liegt nach der Definition der FRL vor, wenn die beteiligten Gesellschaften in 2 oder mehreren Mitgliedsstaaten der EU ansässig sind oder der Sitz einer SE von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegt wird. Die Richtlinie ist auf Fusionen, Spaltungen, Einbringungen und den Anteilstausch anwendbar. Diese Übertragungsvorgänge ähneln dabei jenen des deutschen Umwandlungssteuerrechts.
Eine Fusion ist danach definitionsgemäß die Übertragung des gesamten Vermögens unter Auflösung (ohne Abwicklung der übertragenden Gesellschaft) durch eine Gesellschaft auf eine andere Gesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten. Die Gesellschaftsrechte sind dabei dem Anteilseigner der übertragenden Gesellschaft zu gewähren. Daneben wir die Übertragung des gesamten Vermögens (unter Auflösung ohne Abwicklung) auf den Anteilseigner erfasst. Dies entspricht im Wesentlichen einer Verschmelzung ("side-stream und up-stream") nach deutschem Recht.
Eine Spaltung liegt vor, wenn eine Gesellschaft (unter Auflösung ohne Abwicklung) das gesamte Vermögen auf 2 oder mehrere (neue oder bereits bestehende) Gesellschaften gegen Gewährung von Anteilen an ihren Gesellschafter überträgt. Bei einer Abspaltung werden nur ein oder mehrere Teilbetriebe übertragen. Dies entspricht nach deutschem Verständnis im Wesentlichen einer Aufspaltung.
Bei einer Einbringung wird ein Betrieb oder Teilbetrieb in eine andere Gesellschaft eingebracht gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten an die übertragende Gesellschaft(er). Auch nach deutschem Recht ist dieser Vorgang als Einbringung zu qualifizieren.
Bei einem Austausch von Anteilen wird eine Beteiligung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten übertragen und dadurch eine Anteilsmehrheit erworben oder verstärkt.
Sofern eine bare Zuzahlung geleistet wird, darf diese 10 % des Nennwerts der Anteile nicht übersteigen. Nach deutschem Recht handelt es sich dabei um einen Anteilstausch.
Liegen bei der jeweiligen Umwandlung die Voraussetzungen der FRL vor, dürfen die stillen Reserven im Rahmen der Umwandlung nicht besteuert werden. Voraussetzung ist, dass die übernehmende Gesellschaft die Buchwerte auch für die Folgebilanzierung übernimmt. Ebenfalls nicht zu einer Realisierung stiller Reserven darf es aufgrund der Gewährung der Anteile an der übernehmenden Gesellschaft kommen.
Nicht erfasst von der FRL werden nach der Auffassung des BFH allerdings die stillen Reserven in den Anteilen an der übernehmenden Gesellschaft bei einer Abwärtsverschmelzung, da es sich dabei nicht um übertragenes Vermögen i. S. d. FRL handeln soll.
3 Praxisfragen
Die Regelungen der FRL sind in das deutsche Umwandlungssteuerrecht übernommen worden. Sofern dies nicht oder nicht vollständig der Fall war, ist die Richtlinie unmittelbar anwendbar.
Die FRL hat auch bei der Auslegung der in das UmwStG übernommenen Regelungen Auswirkungen. Der Begriff des Teilbetriebs soll nach Auffassung der Finanzverwaltung dem europäischen Teilbetriebsverständnis angenähert werden. Erfasst werden sollen damit im Vergleich zu dem (vorherigen) rein nationalen Verständnis sowohl wesentliche als auch unwesentliche Betriebsgrundlagen und die mit dem Teilbetrieb zusammenhängenden Verbindlichkeiten. Zudem soll ein Teilbetrieb im Aufbau nicht mehr ausreichen.
Literaturtipps
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Förster, DStR 2020, 865 |
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Goebel/Ungemach, DStZ 2012, 353 |
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Kempf, IStR 2021, 496 |
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Kempf/Nitzschke, IStR 2022, 73 |