Kommentar
Mit Wirkung ab 1974 hatte der Gesetzgeber den steuerlichen Abzug privater Schuldzinsen gestrichen. Seither war streitig, wie die betrieblichen von den privaten Schuldzinsen abzugrenzen sind ( Zweikontenmodell ). Die langjährige Diskussion hatte gezeigt, daß sich hier keine überzeugenden Abgrenzungskriterien finden lassen. Der Große Senat des BFH hat deshalb im Jahr 1990 entschieden, für die steuerliche Behandlung der Zinsen sei auf die Verwendung der Darlehensmittel abzustellen. Damit wurde in Grenzbereichen die technische Abwicklung der Zahlungsvorgänge für maßgeblich erklärt. In der Fachliteratur war diese Entscheidung begrüßt worden, weil es von der Sache her in vielen Fällen nicht möglich ist, die eigentliche wirtschaftliche Verursachung von Zinsen zuverlässig zu ermitteln. Außerdem würden entsprechende Ermittlungen oft einen unvertretbar hohen Verwaltungsaufwand erfordern. Aus der Entscheidung des Großen Senats ist allgemein der Schluß gezogen worden, damit sei das sogenannte Zwei-Konten-Modell steuerlich anerkannt. In der Folge haben jedoch die Gerichte und die Verwaltung das Zwei-Konten-Modell in einigen Punkten eingeschränkt, vor allem für die Fälle, in denen erkennbar hohe private Aufwendungen über eine „Entnahmefinanzierung” mit Krediten bezahlt werden, die formal als betrieblich dargestellt werden.
Die Frage des Zwei-Konten-Modells wird jetzt erneut den Großen Senat beschäftigen. Gleich zwei Senate des BFH haben entsprechende Verfahren anhängig gemacht. Der XI. Senat vertritt die Auffassung, der Grundsatz, für die steuerliche Beurteilung sei auf die unmittelbare Verwendung der Darlehensmittel abzustellen, müsse konsequenter angewendet werden. Das würde bedeuten, daß der von einzelnen Finanzgerichten und der Verwaltung entwickelte Gedanke der Entnahmefinanzierung nicht mehr anwendbar bliebe. Der Anwendungsbereich des Zwei-Konten-Modells würde ausgedehnt .
Der X. Senat vertritt dagegen die Auffassung, Rechtsprechung und Verwaltung seien bei der Anerkennung des Zwei-Konten-Modells zu weit gegangen. Der Beschluß des Großen Senats aus dem Jahre 1990 sei insoweit zu großzügig interpretiert worden. Privat veranlaßte Zinsaufwendungen dürften nicht in den betrieblichen Bereich verlagert werden. Der X. Senat bekennt sich zwar zu dem Grundsatz, daß der Steuerzahler seinen Betrieb beliebig mit Eigen- oder Fremdmitteln finanzieren darf und daß es ihm auch möglich sein muß, Eigenmittel wieder aus dem Betrieb herauszuziehen. Er will dann aber so strenge Maßstäbe aufstellen, daß dieses Herausziehen des vorhandenen Eigenkapitals nach Möglichkeit erschwert wird. Einfach anzuwendende, auf alle Fälle passende und rechtssystematisch überzeugende Abgrenzungskriterien nennt auch der X. Senat nicht.
Link zur Entscheidung
BFH, Vorlegungsbeschluss vom 28.06.1995, XI R 34/93
und v. 19. 7. 1995, X R 48/94.
Anmerkung: Wie der Große Senat entscheiden wird, läßt sich naturgemäß nicht voraussehen. Man kann zwar hoffen, daß er an seiner früheren Auffassung festhält, diese evtl. zugunsten der Steuerzahler präzisiert. Aber auch eine deutlich ungünstigere Entscheidung, die das Zwei-Konten-Modell sehr stark einschränken würde, läßt sich nicht ausschließen. Für diesen Fall besteht jedoch einige Aussicht, daß die Verwaltung, die das Zwei-Konten-Modell bisher ausdrücklich anerkannt hatte, eine Übergangsregelung erlassen wird. Von dem Grundsatz, daß der Unternehmer seinen Betrieb beliebig mit Eigen- oder Fremdkapital finanzieren kann, wird der Große Senat mit Sicherheit nicht abweichen. Das wäre auch verfassungsrechtlich kaum vertretbar. Einschränkungen des Zwei-Konten-Modells werden deshalb eine Verlagerung privaten Zinsaufwands in den betrieblichen Bereich zwar erschweren, aber nicht vollständig verhindern können.
Für die praktische Handhabung innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre, bis die Entscheidung des Großen Senats veröffentlicht wird, haben die Vorlagebeschlüsse nur eingeschränkte Bedeutung, vor allem weil im Falle einer negativen Entscheidung des Gerichts mit einer Übergangsregelung der Verwaltung gerechnet werden darf. Wer sich auf der vorsichtigen Seite bewegen will, sollte bei der Anwendung des Zwei-Konten-Modells etwas zurückhaltender vorgehen und den Zusammenhang einer zusätzlichen betrieblichen Kreditaufnahme mit hohen privaten Aufwendungen nicht zu deutlich werden lassen. Insbesondere sollte nach Möglichkeit ein betragsmäßiger und zeitlicher Zusammenhang zusätzlicher betrieblicher Festkredite mit entsprechenden privaten Aufwendungen vermieden werden.