Die Lebensumstände jedes Einzelnen sind verschiedenartig. Dieser Sachlage wird das Besteuerungsrecht nicht immer gerecht. Dies wird besonders deutlich bei der Berechnung des Kapitalwertes von lebenslänglichen Nutzungen und Leistungen nach § 14 BewG (z.B. bei der Übertragung von Immobilien (vgl. Bisle, NWB-EV 2021, 347–352), Wertpapieren [vgl. Strauch, DStR 2024, 393–403], fondsgebundenen Lebensversicherungen [vgl. FG Münster v. 23.6.2022 – 3 K 606/21 Erb, ErbStB 2022, 296 [Knittel]] oder Gesellschaftsanteilen unter Nießbrauchsregelungen). Im Übrigen gilt dies auch für Fragestellungen nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BewG.
a) Berechnung
Zur Berechnung des Kapitalwertes nach § 14 BewG werden die Vervielfältiger in den jährlich aktualisierten BMF-Schreiben zur Berechnung einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung dargestellt, die zur Ermittlung des Wertes heranzuziehen sind (BMF v. 1.12.2023 – IV D 4 - S 3104/19/10001 :009, ErbStB 2024, 42 [Günther]). Die Tabelle mit dem Vervielfältiger unterscheidet in Männer und Frauen. Letztendlich wird auf die unterschiedliche Lebenserwartung von Männern und Frauen abgestellt.
Geltendes Recht: Das Transsexuellengesetz (TSG), das durch das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag aufgehoben wird, sieht über eine Antragsstellung vor, dass durch einen Beschluss des zuständigen Amtsgerichts der Vorname der antragstellenden Person gem. § 1 TSG geändert wird und gem. § 8 TSG festgestellt wird, dass die antragstellende Person je nach Antrag als dem "männlichen oder weiblichen" Geschlecht zugehörig anzusehen ist.
Intersexuelle Menschen können nach § 45b PStG ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen auch selbst durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt ändern lassen. Auch kann der Geschlechtseintrag gestrichen werden.
Mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen stellt sich die Frage, ob in diesen Fällen die Einordnung nach dem Beschlussinhalt, der Beurkundung, der Beglaubigung oder nach der ursprünglichen Geburtsurkunde vorzunehmen ist. Das Geschlecht einer Person ist für die Berechnung nach § 14 BewG relevant, so dass davon auszugehen ist, dass auf den aktuellen Geschlechtseintrag abgestellt wird. Es ist der entsprechende Vervielfältiger aus der Tabelle für die Berechnung heranzuziehen. Zu ergründen ist, wie mit einem Geschlechtseintrag "divers" oder mit einem gestrichenen Geschlechtseintrag mit Blick auf den Vervielfältiger zu verfahren ist.
Künftiges Recht: Aktuell wurde das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) verabschiedet (dazu s. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw15-de-geschlechtseintrag-997406). Nach dem Gesetz können transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen relativ einfach ändern lassen. Das Gesetz hebt das Transsexuellengesetz auf und ändert das Personenstandsgesetz ab.
Es stellt sich die Frage, wie mit einem mehrfachen Wechsel des Geschlechtseintrags nach Ablauf der jeweiligen Sperrfrist in Bezug auf die Berechnungen umzugehen ist (dazu bereits Hennigfeld, Anm. zu FG Köln v. 18.8.2022 – 7 K 1799/21, EFG 2023, 237–243 = ErbStB 2023, 104 [Marfels]). Ungeklärt bleibt auch die Fragestellung wie mit dem Eintrag "divers" oder der Streichung des Geschlechtseintrags mit Blick auf § 14 BewG zu verfahren ist. Das Gesetz tritt am 1.11.2024 in Kraft bzw. am 1.8.2024 für Anmeldungen nach § 4 SBGG. Im Übrigen kann der Vorname und Nachname auch nach §§ 3 und 11 Namensänderungsgesetz geändert werden.
Das jeweils anzuwendende BMF-Schreiben zu § 14 BewG enthält die Vervielfältiger, die unter Berücksichtigung der Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes ermittelt wurden. Hier ist zu eruieren, ob die Sterbetafeln die Lebenswirklichkeit und damit die Lebenserwartung von sog. queren Menschen wiedergeben. Denn die Tabellen unterscheiden derzeit bloß zwischen Mann und Frau. Studien zur Lebenserwartung von queren Menschen wären heranzuziehen (z.B. Kasprowski / Fischer / Chen / de Vries / Kroh / Kühne / Richter / Zindel, Geringere Chancen auf ein gesundes Leben für LGBTQI-Menschen, https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.810348.de/21-6.pdf).
In anhängigen Verfahren ist die Frage zu klären, ob das Anknüpfen der Berechnungsmethode an das Geschlechtsmerkmal eine Diskriminierung darstellt (FG Köln v. 18.8.2022 – 7 K 1800/21, EFG 2023, 243 [Rev. II R 38/22] und FG Köln v. 18.8.2022 – 7 K 1929/21, EFG 2023, 243 [Rev. II R 42/22]; FG Köln v. 18.8.2022 – 7 K 1799/21, EFG 2023, 243 = ErbStB 2023, 104 [Marfels] [Rev. II R 41/22]. Klärungsbedürftig ist auch die Frage, welcher Vervielfältiger bei sog. queren Menschen anzuwenden ist (z.B. nichtbinären Menschen).
Der Betrachtungshorizont wird mit Blick auf das SBGG zu erweitern sein. Bei der Angabe des Geschlechts gibt es vier Möglichkeiten:
- männlich,
- weiblich,
- divers,
- keine Angabe.
Im Ergebnis wird eventuell ein Unisex-Vervielfältiger anzuwenden sein, um unterschiedliche Geschlechtsidentif...