Leitsatz
1. Die Inhaberschaft von Anteilen an einer GmbH reicht (im Gegensatz zur Inhaberschaft von Vermögenswerten dieser GmbH) für sich genommen nicht hin, um eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit der Veräußerin fortführen zu können.
2. Anders kann es sein, wenn die bisherige Organträgerin die Anteile an der GmbH an die neue Organträgerin überträgt.
Normenkette
§ 1 Abs. 1a, § 4 Nr. 8 Buchst. f, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG, Art. 19, Art. 135 Abs. 1 Buchst. f, Art. 168 Buchst. a EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Die Klägerin war vor dem 4.12.2012 alleinige Gesellschafterin der B-GmbH. An diese vermietete sie Betriebsgrundstücke (seit dem 1.1.2013 steuerpflichtig). Die Klägerin war umsatzsteuerrechtliche Organträgerin der B-GmbH.
Durch Vertrag vom 4.12.2012 verkaufte die Klägerin ihre Beteiligung an der B-GmbH überwiegend an eine Beteiligungsgesellschaft (Erwerberin). Eine Option zur Umsatzsteuerpflicht erfolgte nicht. Einen geringeren Teil der Anteile brachte die Klägerin im Wege der Sachkapitalerhöhung in die Erwerberin ein, sodass sie seitdem zu 25,1 % an der Erwerberin beteiligt ist.
Für dieses Geschäft hatte die Klägerin Beratungsleistungen in Anspruch genommen. Die hierfür gezahlte Umsatzsteuer zog sie in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2012 (Streitjahr) als Vorsteuer ab.
Nach Durchführung einer Außenprüfung ließ das FA die Vorsteuer nicht mehr zum Abzug zu. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das FG (FG Nürnberg, Urteil vom 2.5.2018, 2 K 309/16, Haufe-Index 12102688, EFG 2018, 1833) wies die Klage ab. Der Vorsteuerabzug aus den Beratungsleistungen sei nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen. Die Veräußerung der Anteile an der B-GmbH falle als wirtschaftliche Tätigkeit grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer; es habe sich bei der B-GmbH um eine Organgesellschaft der Klägerin gehandelt. Die Veräußerung sei daher steuerbar, aber nach § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG steuerfrei. Eine Geschäftsveräußerung liege nicht vor.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück, das nun prüfen muss, ob eine neue Organschaft mit der Erwerberin besteht.
Optionsmöglichkeit prüfen
Auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG kann unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 UStGverzichtet werden, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung anfechtbar oder aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung gemäß § 164 AO noch änderbar ist (vgl. BFH, Urteil vom 19.12.2013, V R 6/12, BStBl II 2017, 837; BFH, Urteil vom 21.10.2015, XI 40/13, BStBl II 2017, 852, Rz. 56 ff.).
Hinweis
1. Nachdem der EuGH in der Rechtssache SKF (EuGH, Urteil vom 20.10.2009, C‐29/08, BFH/NV 2009, 2099) u.a. entschieden hatte, dass die Veräußerung sämtlicher Aktien an einer zu 100 % gehaltenen Tochtergesellschaft eine Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens sein kann, schloss sich der BFH dieser Auffassung in einem obiter dictum an (BFH, Urteil vom 27.1.2011, V R 38/09, BFH/NV 2011, 727, BStBl II 2012, 68, Leitsatz 2), sah aber (insoweit tragend) die Veräußerung von 99 % der Anteile nicht als Geschäftsveräußerung an.
2. Später schränkte der EuGH das Urteil SKF selbst wieder ein (EuGH, Urteil vom 30.5.2013, C-651/11, X, BFH/NV 2013, 1212): Die Veräußerung von 30 % der Anteile an einer Gesellschaft ist auch dann keine Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens, wenn die anderen Anteilseigner die übrigen Anteile an dieser Gesellschaft praktisch gleichzeitig an dieselbe Person übertragen oder diese Übertragung in engem Zusammenhang mit den für diese Gesellschaft ausgeübten Managementtätigkeiten steht. Zur Begründung hat der EuGH ausgeführt, dass die Inhaberschaft von Anteilen an einem Unternehmen im Gegensatz zur Inhaberschaft von Vermögenswerten dieses Unternehmens nicht hinreicht, um eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit fortführen zu können (EuGH, Urteil vom 30.5.2013, X, a.a.O., Rz. 35). Die Finanzverwaltung übernahm die Rechtsprechung des EuGH Ende 2013 in Abschnitt 1.5 Abs. 9 UStAE.
3. Auch wenn damit an dem obiter dictum aus dem BFH-Urteil vom 27.1.2011 (a.a.O.) nicht mehr uneingeschränkt festgehalten werden kann, gilt es doch zu beachten, dass im Fall der Organschaft die Situation eine andere sein kann. Denn die (wirtschaftliche) Tätigkeit des Organträgers besteht nicht in der Tätigkeit als (geschäftsleitende) Holding, die Anteile hält, sondern ihm ist die unternehmerische Tätigkeit des Organkreises als eigene zuzurechnen (vgl. BFH, Urteil vom 26.6.2019, XI R 3/17, BFH/NV 2019, 1455, Rz. 37 ff., m.w.N.). Besteht zwischen der Erwerberin der Anteile und der Tochter-GmbH eine (neue) Organschaft, führt die Erwerberin die unternehmerische Tätigkeit der Veräußerin fort, und zwar auch dann, wenn nicht alle Gegenstände mitübertragen werden, die die Organschaft begründet haben (z.B. Zurückbehaltung des Betriebsgrundstücks, das an "den Organkreis"( = Organträger oder Organgesellschaft) verpachtet wird).
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