Hat der Gesetzgeber ein missbrauchsverdächtiges Feld gesichtet und durch eine Spezialvorschrift (im Streitfall: § 8b Abs. 4 S. 1 Nr. 1 KStG a.F. i.V.m. § 21 Abs. 1 S. 1 UmwStG 2006) abgesteckt, legt er für diesen Bereich die Maßstäbe fest und sichert eine einheitliche Rechtsanwendung, die Gestaltungssicherheit gewährleistet. Sind in einem konkreten Einzelfall die Voraussetzungen der speziellen Missbrauchsverhinderungsbestimmungen nicht erfüllt, darf die Wertung des Gesetzgebers nicht durch eine extensive Anwendung des § 42 Abs. 1 AO a.F. unterlaufen werden. Verbleiben Rechtsfolgenlücken, ist es allein Aufgabe des Gesetzgebers, der mittels der speziellen Missbrauchsbekämpfungsnormen die Grenzen des Missbrauchs gezogen hat, diese zu schließen. Hieran hat sich durch die Einfügung des § 42 Abs. 2 AO i.d.F. des Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 2001) v. 20.12.2001 (BStBl. I 2002, 4), nach dem § 42 Abs. 1 AO a.F. anwendbar ist, wenn seine Anwendbarkeit gesetzlich nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, nichts geändert.
Im Streitfall zielte die vertragliche Gestaltung im Ergebnis darauf ab, den im Streitjahr nach § 8b Abs. 4 S. 1 Nr. 1 KStG a.F. i.V.m. § 21 Abs. 1 S. 1 UmwStG 2006 ungemindert steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn zu reduzieren und im Umfang dieser Reduktion eine vGA zu erhalten, die lediglich im Umfang von 5 % der Besteuerung unterliegt.
Der BFH entschied, die Anwendung von § 42 AO (a.F.) werde nicht ausgeschlossen, wenn im konkreten Streitfall weder der Tatbestand noch die Rechtsfolgen einer speziellen Missbrauchsverhinderungsvorschrift erweitert werden. Ein Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO liegt jedoch nur dann vor, wenn die gewählte Gestaltung nach den Wertungen des Gesetzgebers, die den jeweils maßgeblichen steuerrechtlichen Vorschriften zugrunde liegen, der Steuerumgehung dienen soll, ansonsten aber nicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob es für die im Einzelfall gewählten (Teil-)Schritte "vernünftige wirtschaftliche Gründe" gibt.
Im Streitfall lag – trotz der "Aufspaltung" eines in einem ursprünglichen Kaufpreisangebot enthaltenen Veräußerungspreises in einen tatsächlich entrichteten – deutlich niedrigeren – Veräußerungspreis für die Anteile und einer tatsächlich abgeführten Abschlagszahlung – zumindest insofern kein Gestaltungsmissbrauch vor, als eine handelsrechtliche Abführungsverpflichtung bezüglich des Ergebnisabführungsvertrags bestanden hatte (BFH v. 9.6.2021 – I R 52/17).