[Ohne Titel]
StB Dipl.-Fw. Karl-Heinz Günther
Der Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 AO) ist seit jeher ein streitanfälliges Rechtsgebiet, geht es doch darum, welche Gestaltungen steuerrechtlich noch akzeptabel oder schon gestaltungsmissbräuchlich sind. Die Vorschrift ist in der Besteuerungspraxis aktueller und streitanfälliger denn je, wie ein Blick in die jüngere Rechtsprechung des BFH und der FG zeigt. Der Beitrag gibt (anknüpfend an Günther, AO-StB 2019, 46) einen Überblick über die aktuelle Rechtsprechung.
1. Gewinneinkünfte
a) Vereinbarung einer Leasingsonderzahlung
Die Vereinbarung einer Leasingsonderzahlung stellt grundsätzlich keinen Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO dar. Gestaltungsmissbrauch ist aber gegeben, wenn die Zahlung in einem Monat mit ungewöhnlich hoher beruflicher Nutzung des Fahrzeugs geleistet wird und dies auf eine planvolle Gestaltung zurückgeht.
Im Streitfall war die vom Steuerpflichtigen gewählte Gestaltung der Leasingsonderzahlung als unangemessen zu beurteilen, da sie nicht durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nicht steuerliche Gründe zu rechtfertigen war. Denn sie diente lediglich dem Zweck, einen gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil in der Anwendung des § 11 Abs. 2 S. 1 EStG zu erlangen, weil sie in einen Monat mit ungewöhnlich hoher beruflicher Nutzung des Pkw verlagert wurde (FG Schl.-Holst. v. 23.11.2020 – 3 K 1/20, EFG 2021, 740, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 1/21).
b) Inkongruente Gewinnausschüttungen
Inkongruente Gewinnausschüttungen stellen im Regelfall keinen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten dar. Die Wirkungen von § 42 Abs. 1 AO würden nach Auffassung des FG Münster überdehnt, wenn Ausschüttungen einer Kapitalgesellschaft bei einem Anteilseigner, der keine Ausschüttung erhalten hat, fiktiv als zugeflossen behandelt werden. Im Übrigen existiert auch kein Rechtssatz, wonach inkongruente Gewinnausschüttungen grundsätzlich einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten darstellen. Denn sie sind gesellschaftsrechtlich zulässig, da die Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft sich auf eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Gewinnbeteiligung verständigen können (vgl. § 29 Abs. 3 GmbHG). Grundsätzlich bestehen keine Bedenken, dem auch in steuerrechtlicher Hinsicht zu folgen. Denn nahezu jede Gewinnausschüttung, die verdeckt erfolgt (§ 8 Abs. 3 S. 2 KStG), stellt zugleich eine inkongruente dar. Es gibt keinen Grund, offene inkongruente Gewinnausschüttungen, die mit dem Gesellschaftsrecht im Einklang stehen, steuerlich hiervon abweichend zu behandeln (FG Münster v. 30.6.2021 – 13 K 272/19 F, EFG 2021, 1615).
2. Verluste im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen (§ 15b EStG)
Nach der bisherigen Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Fondsetablierungskosten bei modellhafter Gestaltung werden bestimmte Betriebsausgaben, die an sich sofort abzugsfähig wären, unter Anwendung von § 42 AO als Anschaffungskosten behandelt und damit als Ausgaben, die sich, wenn überhaupt, nur in Form von Absetzung für Abnutzung verteilt über die Nutzungsdauer des angeschafften Wirtschaftsguts gewinnmindernd auswirken. Der Gestaltungsmissbrauch wird darin gesehen, dass statt der wirtschaftlich veranlassten Vereinbarung eines Gesamtkaufpreises für das anzuschaffende Wirtschaftsgut gesonderte Verträge über Dienstleistungen mit entsprechenden Honoraren vereinbart werden, um auf diese Weise sofort abzugsfähige Ausgaben zu schaffen, die zu einer erheblichen Senkung der Steuerlast der Anleger führen.
Der BFH hat nun klargestellt, dass für Jahre seit Inkrafttreten des § 15b EStG die auf § 42 AO gestützte Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Fondsetablierungskosten bei modellhafter Gestaltung nicht mehr angewendet werden kann. Hat der Gesetzgeber ein missbrauchsverdächtiges Feld gesichtet und durch eine Spezialvorschrift abgesteckt, legt er für diesen Bereich die Maßstäbe fest. Unabhängig davon, ob im konkreten Einzelfall die Voraussetzungen der speziellen Missbrauchsbestimmung erfüllt sind, darf die Wertung des Gesetzgebers dann nicht durch Anwendung des § 42 AO unterlaufen werden.
Mit § 15b EStG hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er Steuerstundungsmodelle, bei denen dem Steuerpflichtigen aufgrund eines vorgefertigten Konzepts die Möglichkeit geboten werden soll, zumindest in der Anfangsphase der Investition seine Steuerlast zu senken, dem Grunde nach anerkennt und lediglich dann einer Verlustverrechnungsbeschränkung unterwirft, wenn ein Verlust entsteht und dabei die in § 15b Abs. 3 EStG aufgeführten Grenzen überschritten werden. In dieser Situation ist es der Rechtsprechung verwehrt, entsprechenden Vorteilen durch Anwendung des § 42 AO die steuerliche Anerkennung zu versagen (BFH v. 26.4.2018 – IV R 33/15, BStBl. II 2020, 645).
3. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
Ein Lohnformenwechsel (pauschalierte Besteuerung von zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbrachten Leistungen) ist nicht rechtsmissbräuchlich. Im Streitfall war der Tatbestand des § 42 Abs. 1 AO bereits deshalb nicht erfüllt, weil der Steuerp...