Leitsatz
Veräußert und erwirbt der Steuerpflichtige an einer Börse mit taggleicher Ausführung Bezugsrechte und kann er aufgrund der Umstände, seiner persönlichen Kenntnisse und seines Einflusses auf die Durchführung des Handels als Börsenmakler davon ausgehen, dieselbe Zahl von Bezugsrechten zum Verkaufspreis sicher wieder erwerben zu können, ohne die Kauforder eines Dritten fürchten zu müssen, kann in der Durchführung des Geschäfts ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten liegen (Abgrenzung zu BFH-Urteil vom 7. Dezember 2010, IX R 40/09, BFHE 232, 1, BStBl II 2011, 427, zur Anteilsrotation).
Normenkette
§ 42 AO, § 17 Abs. 1, § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 2 EStG
Sachverhalt
Der Kläger war als Börsenmakler für den Handel mit Bezugsrechten zuständig. Für den Handel mit Bezugsrechten gab es an der Börse eine Einheitskursfeststellung einmal am Tag. Am 4.11.1998 erteilte der Kläger telefonisch seinem Bankberater Order über den Verkauf von 23.224 Bezugsrechten der X AG und am 5.11.1998 um 8:30 Uhr über den Kauf von 23.224 Bezugsrechten der X AG. Beide Order wurden am 5.11.1998 zum Preis von 58 DM/Bezugsrecht unter fortlaufenden Nummern ausgeführt. Mitgesellschafter des Klägers hatten zeitgleich entsprechende Aufträge erteilt.
Der Kläger löste die Bezugsrechte ein und veräußerte im Oktober 1999 junge Aktien der X AG mit Gewinn, den er unter Berücksichtigung der Anschaffung im November 1998 den privaten Veräußerungsgeschäften zuordnete. Nach einer Außenprüfung verneinte das FA eine Anschaffung im November 1998 und setzte stattdessen einen Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG an.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger an der X AG wesentlich beteiligt war.
Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.11.2015, 8 K 2978/13, Haufe-Index 9334482, EFG 2016, 1175). Als einzigen Zweck der Gestaltung hat das FG ausgemacht, dass der Kläger einen Teil des unter § 17 fallenden zukünftigen Veräußerungsgewinns noch im Jahr 1998 vor Einführung der sog. Fünftel-Regelung realisieren und versteuern wollte. Darin hat es einen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gesehen.
Dem hat der BFH ausdrücklich zugestimmt und die Revision des Klägers zurückgewiesen.
Hinweis
Wer den Tanz auf der Rasierklinge liebt und die Grenzen des Gestaltungsmissbrauchs austestet, sollte zu seiner Sicherheit möglichst das Gras wachsen hören. Der Besprechungsfall bietet insofern einigen Anlass zum genauen Hinhören:
1. Neue Aussagen zu den Voraussetzungen eines Gestaltungsmissbrauchs enthält das Urteil nicht. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine rechtliche Gestaltung unangemessen, wenn sie keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat. Das kann z.B. der Fall sein, wenn durch mehrere Geschäfte, die sich wirtschaftlich gegenseitig neutralisieren, lediglich ein steuerlicher Vorteil erzielt werden soll.
2. Der BFH hat es in der Vergangenheit grundsätzlich nicht beanstandet, wenn der Steuerpflichtige Wertpapiere, die er verkauft hat, unmittelbar anschließend oder zumindest kurzfristig danach wieder erwirbt.
a) Dabei handelt es sich jedenfalls dann um getrennt zu beurteilende Vorgänge, wenn sie zu unterschiedlichen Preisen durchgeführt werden (BFH, Urteil vom 25.8.2009, IX R 60/07, BFH/NV 2009, 2020, BFH/PR 2010, 24, BStBl II 2009, 999, BFHE 226, 252).
b) Nach dem Besprechungsurteil soll dies anders sein, wenn der Steuerpflichtige "aufgrund spezieller Kenntnis der Abläufe in den Handelssystemen von Wertpapierbörsen und -handelshäusern und der konkreten Marktsituation, davon ausgehen kann, die von ihm zum Verkauf platzierten börsennotierten Wertpapiere zeit- und wertgleich und damit ohne Kursrisiko wieder zurückerwerben zu können".
Diese sehr speziell auf den Fall zugeschnittenen Voraussetzungen können vereinfacht so verstanden werden, dass zwei getrennt zu betrachtende Vorgänge (An- und Verkauf) nicht anzunehmen sind, wenn der Markt (Börse) nur zum Schein genutzt worden ist, weil das Marktrisiko vernachlässigt werden konnte. Das hatte das FG angenommen.
3. Aber was war nun wirklich geschehen? Abstrakt sind zwei Szenarien denkbar: Der Kläger hat tatsächlich die von ihm selbst angebotenen Wertpapiere erworben. In diesem Fall läge schon begrifflich weder eine Veräußerung noch ein Erwerbsgeschäft vor.
Das andere denkbare Szenario ist, dass der Kläger die von seinen Mitgesellschaftern angebotenen Wertpapiere erworben hat. Das wäre eine "Wertpapierrotation".
Das FG hat nicht festgestellt, welcher Sachverhalt vorlag.
4. Dem BFH war das egal, denn die Rechtsfolge (keine Veräußerung und keine Anschaffung) war nach seiner Auffassung in beiden Fällen dieselbe.
Zu diesem Ergebnis konnte der BFH jedoch nur gelangen, wenn die "Wertpapierrotation" im Besprechungsfall nicht mit einer "Anteilsrotation" zu vergleichen war, denn insoweit hat der BFH bekanntlich einen Gestaltungsmissbrauch verneint (BFH, Urteil vom 7.12.2010, IX R 40/09, BFH/NV 2011, 693, BFH/PR 2011, 173, BStBl II 2011, 427, BFHE 232, 1).
Die Begrün...