LfSt Bayern v. 11.2.2019, G 1413.1.1-2/8 St 32
Steuerstundung und Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen durch die Gemeinde
Bisher wurde durch BMF-Schreiben vom 27.3.2003 (BStBl 2003 I S. 240) zu Erträgen aus Sanierungsmaßnahmen von Unternehmen geregelt, unter welchen Voraussetzungen aus Billigkeitsgründen auf die Erhebung der Steuer auf einen nach Ausschöpfen der Verlustverrechnungsmöglichkeiten verbleibenden Sanierungsgewinn verzichtet werden kann. Mit Beschluss des Großen Senats vom 28.11.2016, GrS 1/15 (BStBl 2017 II S. 393) wurde die Berechtigung der Finanzverwaltung zur allgemeinverbindlichen Vorgabe derartiger Billigkeitsgrundsätze als Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung angesehen.
Mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27.6.2017 (BStBl 2017 I S. 1202) wurde in § 3a und 3c Abs. 4 EStG sowie in § 7b GewStG die steuerliche Behandlung von Sanierungsmaßnahmen neu geregelt. Demnach sind vorbehaltlich des § 7b Abs. 2 und 3 GewStG die §§ 3a und 3c Abs. 4 EStG bei der Ermittlung des Gewerbeertrags entsprechend anzuwenden. Die Sanierungsbegünstigung wird nun nicht mehr durch eine Billigkeitsmaßnahme im Erhebungsverfahren, sondern durch eine Steuerbefreiung im Festsetzungsverfahren gewährt.
Für die Gewerbesteuer hat dies zur Folge, dass die Zuständigkeit für die Gewährung von Sanierungsmaßnahmen nun nicht mehr bei der Gemeinde liegt, sondern hierüber abschließend im Rahmen des Festsetzungsverfahrens des Gewerbesteuermessbetrages durch das Finanzamt zu entscheiden ist. Die Gewerbesteuermessbetragsfestsetzung entscheidet über den sachlichen Umfang der Steuerpflicht (§ 184 Abs. 1 Satz 2 AO). Die Gemeinden sind nicht befugt, diese anzufechten (s. AEAO zu § 184).
Die Neuregelung der Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen ist nach § 36 Abs. 2c Satz 1 GewStG auf Fälle anzuwenden, in denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8.2.2017 (Datum der Veröffentlichung des Beschlusses des Großen Senats des BFH) erlassen wurden. Durch § 36 Abs. 2c Satz 2 GewStG wird auch für einen Schuldenerlass nach dem 8.2.2017 die Anwendung des § 7b GewStG ausgeschlossen, wenn dem Steuerpflichtigen Billigkeitsmaßnahmen aus Gründen des Vertrauensschutzes auf Grundlage von § 163 Abs. 1 Satz 2 und den §§ 222, 227 AO – durch die Gemeinde – zu gewähren sind.
Ursprünglich stand das Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelungen unter dem Vorbehalt der Beschlussfassung der Europäischen Kommission, dass die Regelungen entweder keine staatlichen Beihilfen i.S. des Art. 107 Abs. 1 AEUV oder aber mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen darstellen (Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen, a.a.O.). Die Europäische Kommission hat jedoch einen solchen Beschluss nicht gefasst, sondern ihre Auffassung in einem „comfort letter” mitgeteilt. Dadurch wurde notwendig, die bisherige aufschiebende Inkrafttretensregelung aufzuheben und die Vorschrift unmittelbar in Kraft zu setzen. Dies erfolgte nunmehr durch Art. 19 des Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018 (BStBl 2018 I S. 1377 ff.). Nach Aufhebung von Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen tritt gem. Art. 6 Abs. 1 das Gesetz am Tag nach der Verkündung in Kraft. Die Vorschrift des § 7b GewStG gilt somit ab 5.7.2017 für alle Fälle, in denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8.2.2017 erlassen wurden.
Neben der Inkraftsetzung der Neuregelungen wurde durch Art. 8 Nr. 2 Buchst. b des Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (a.a.O.) in § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG folgende Regelung für Altfälle geschaffen:
Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist § 7b auch in den Fällen anzuwenden, in denen die Schulden vor dem 9.2.2017 erlassen wurden.
Es besteht somit ein eigenständiges gewerbesteuerliches Antragswahlrecht. Wird ein Antrag gem. § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG für noch offene Altfälle gestellt, wird im Rahmen des Festsetzungsverfahrens des Gewerbesteuermessbetrages durch das Finanzamt über die Steuerbefreiung der Sanierungsmaßnahme entschieden. Wird dieser Antrag nicht gestellt, ist in noch offenen Altfällen weiterhin nach den Grundsätzen der Verfügung des LfSt vom 8.8.2006, Az: G 1413.1.1-2/4 St31 / S 2140 – 6 St 3102 (AIS: Themen > Steuerrecht > Ertragsteuern und Nebengesetze > Gewerbesteuer) zu verfahren.
Es sei darauf hingewiesen, dass das EStG (§ 52 Abs. 4a Satz 3 und Abs. 5 Satz 4 EStG) sowie das KStG (§ 34 Abs. 3b KStG) ebenfalls ein Antragswahlrecht auf Anwendung der Neuregelung für Altfälle einräumt. Wird von diesem Gebrauch gemacht, kann die Steuerfreistellung gem. § 3a und § 3c Abs. 4 EStG bei der Ermittlung des Gewerbeertrags aber nur berücksichtigt werden, wenn auch hier der Antrag gem. § 36 Abs. 2c Satz 3 ...