Leitsatz
1. "Außerordentliche" Einkünfte i.S.d. § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG können u.a. vorliegen, wenn Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten aufgrund einer vorangegangenen rechtlichen Auseinandersetzung atypisch zusammengeballt zufließen.
2. Diese Voraussetzungen können auch bei Steuerpflichtigen gegeben sein, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb beziehen und diese durch Betriebsvermögensvergleich ermitteln.
3. Eine Anschlussrevision ist nur zulässig, wenn der Anschlussrevisionskläger durch das Urteil des FG beschwert ist. Legt der Kläger die Anschlussrevision ein, ist das Vorliegen der Beschwer bei Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit eines Einkommensteuerbescheids nach der Differenz zwischen begehrter und festgesetzter Steuer zu beurteilen.
Normenkette
§ 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, § 233a AO, § 100 Abs. 2 Satz 2, § 120, § 145 FGO
Sachverhalt
Der Kläger erzielte gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Spielhalle, die er durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte. Nachdem der EuGH und der BFH im Jahr 2005 entschieden hatten, dass Umsätze aus Glücksspielen mit Geldeinsatz außerhalb öffentlicher Spielbanken nach damaliger Rechtslage von der Umsatzsteuer befreit waren, wenn solche Glücksspiele in öffentlichen Spielbanken steuerfrei waren, erstattete das FA dem Kläger die Umsatzsteuer 1996 bis 2003 nebst Zinsen nach § 233a AO i.H.v. insgesamt 177.089,89 EUR (Umsatzsteuer: 139.567,89 EUR; Erstattungszinsen: 37.522 EUR).
Der Kläger ermittelte für 2005 Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 130.786 EUR und gab an, dass darin tarifbegünstigte Gewinne i.S.d. § 34 Abs. 2 Nrn. 2 bis 5 EStG i.H.v. 177.089 EUR enthalten seien. Das FA besteuerte jedoch mit dem Regelsteuersatz und setzte die Einkommensteuer auf 41.445 EUR fest.
Das FG setzte die Einkommensteuer 2005 auf den Betrag herab, der sich ergibt, wenn die Umsatzsteuer-Erstattungen für 1996 bis 2003 i.H.v. 139.567,89 EUR als außerordentliche Einkünfte i.S.d. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG behandelt werden (Niedersächsisches FG, Urteil vom 14.12.2011, 3 K 457/10, EFG 2012, 931). Im Übrigen wies es die Klage ab. Die Berechnung der Steuer übertrug es dem FA. Die Kosten des Verfahrens legte es dem FA zu 80 % und dem Kläger zu 20 % auf. Das FA legte Revision ein, der Kläger erhob Anschlussrevision.
Entscheidung
Die Revision des FA war unbegründet und die Anschlussrevision des Klägers mangels Beschwer unzulässig. Die gesamten Kosten wurden dem FA auferlegt.
Hinweis
1. Umsatzsteuer-Erstattungen für mehrere Jahre sind ein betrieblicher Ertrag, der als "außerordentlich" i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG zu beurteilen ist, wenn sie aufgrund einer vorangegangenen rechtlichen Auseinandersetzung atypisch zusammengeballt bezogen werden (ebenso BFH-Urteil vom 25.2.2014, X R 10/12, BStBl II 2014, 668, Rz. 33 ff., BFH/NV 2014, 1259). In derartigen Fällen ist nicht zu prüfen, ob es sich um eine ausschließliche oder eine abgrenzbare Sondertätigkeit handelt, weil die Gesichtspunkte, die im Regelfall für eine einschränkende Auslegung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG sprechen (Vermeidung von Gestaltungs- und Missbrauchsmöglichkeiten, fehlende Praktikabilität), bei Steuererstattungen nicht zum Tragen kommen.
Aber Vorsicht: Der BFH verweist darauf, dass den im Streitfall zu beurteilenden Umsatzsteuer-Erstattungen keine übliche Meinungsverschiedenheit zwischen Stpfl. und FA zugrunde liegt, sondern die Europarechtswidrigkeit der vom FA angewandten Vorschrift des deutschen UStG und die grundlegende umsatzsteuerrechtliche Neubeurteilung der Glücksspielumsätze. Nicht jede größere Steuererstattung nach einem Rechtsstreit führt mithin zur Tarifermäßigung, sondern wohl nur eine Erstattung nach einem grundsätzlichen Streit mit Breitenwirkung. Die danach erforderliche Unterscheidung zwischen üblichen und außerordentlichen steuerlichen Streitfragen wird in der Praxis sicherlich nicht ohne Konflikte abgehen.
2. Die für die Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG erforderliche typischerweise zu erwartende Progressionswirkung ist ohne Weiteres gegeben, wenn die – wie hier – für acht Jahre geballt bezogenen Umsatzsteuer-Erstattungen zu einem zusätzlichen Gewinn führen, der den in diesem Zeitraum erwirtschafteten durchschnittlichen Jahresumsatz aus dieser Tätigkeit übersteigt.
3. Die Umsatzsteuer-Erstattungen sind auch "Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten" i.S.d. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG; zur Begründung wird auf das BFH-Urteil vom 25.2.2014, X R 10/12 (BStBl II 2014, 668, Rz. 33 ff., BFH/NV 2014, 1259) verwiesen.
4. Das FG hatte nur die Steuererstattung selbst, nicht aber auch die Zinsen als a. o. Einkünfte angesehen. Die dagegen gerichtete Revision des Klägers war jedoch unzulässig, weil bereits die Steuererstattungen ohne Zinsen das z.v.E. überstiegen und eine Einbeziehung der Zinsen in die a. o. Einkünfte daher keine weitere Entlastung bewirken konnte.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 25.9.2014 – III R 5/12