Dipl.-Finw. (FH) Anna M. Nolte
Zusammenfassung
Gewinnrealisierung ist gegeben, wenn der Leistungsverpflichtete die von ihm geschuldete Erfüllungshandlung erbracht hat, d. h. seine Verpflichtung "wirtschaftlich erfüllt" hat. Dem Leistenden steht der Anspruch auf die Gegenleistung, i. d. R. die Zahlung, so gut wie sicher zu. Sein Risiko reduziert sich darauf, dass der Empfänger im Einzelfall Gewährleistungs- oder Schadensersatzansprüche geltend macht oder sich als zahlungsunfähig erweist. Der Schwebezustand des zugrunde liegenden Geschäfts ist beendet und der Gewinn realisiert. Nicht realisierte Gewinne dürfen nicht ausgewiesen werden.
§ 252 Abs. 1 Nr. 4 2. Halbsatz HGB bestimmt, dass Gewinne nur zu berücksichtigen sind, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind. Dieses Realisationsprinzip gehört zu den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG übernimmt diese Grundsätze im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung von buchführungspflichtigen Kaufleuten und solchen, die freiwillig Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen. Nach R 4.1 Abs. 5 i. V. m. R 5.2 – 5.4 EStR sind die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung bei Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG ebenfalls zu beachten. Das Realisationsprinzip findet deshalb auch bei sonstigen bilanzierenden Steuerpflichtigen (Landwirte, Freiberufler) Anwendung.
§ 252 Abs. 1 Nr. 4 2. Halbsatz HGB beruht auf Art. 31 Abs. 1c, aa der Jahresabschlussrichtlinie der EG, der ebenfalls anordnet, dass nur die am Bilanzstichtag realisierten Gewinne ausgewiesen werden. Unter den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen nur Kapitalgesellschaften.
§§ 141 ff. AO enthalten die Regelungen über die Buchführungspflicht bestimmter Steuerpflichtiger, Aufzeichnungsvorschriften sowie Ordnungsvorschriften für die Buchführung und für Aufzeichnungen.
1 Veräußerungsgeschäfte
1.1 Veräußerungsgewinn
Veräußerungsgewinn ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Er entsteht mit Übergang der zivilrechtlichen Inhaberschaft oder zumindest des sogenannten wirtschaftlichen Eigentums – bei Anteilsveräußerung an den Anteilen auf den Erwerber – und ist damit bereits in diesem Veranlagungszeitraum zu versteuern. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns bestimmen sich alle relevanten wertbestimmenden Faktoren grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Veräußerung; auf den Zufluss des Entgelts kommt es nicht an.
Eine einkommensteuerpflichtige Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist anzunehmen, wenn die zivilrechtliche Inhaberschaft oder zumindest das sogenannte wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen auf den Erwerber übergeht. Zu diesem Zeitpunkt entsteht der Veräußerungsgewinn; auch hier kommt es auf den Zufluss des Entgelts nicht an. Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Käufer aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind.
1.2 Veräußerung beweglicher Sachen
Zivilrechtliche Rechtsgrundlage ist im Allgemeinen ein Kaufvertrag. Wirtschaftliche Vertragserfüllung tritt grundsätzlich mit der Übergabe der verkauften beweglichen Sache ein; in diesem Zeitpunkt gehen die Nutzungen und Lasten auf den Käufer über. Gewinne aus entgeltlichen Veräußerungsgeschäften werden nicht bei Abschluss des schuldrechtlichen Kausalgeschäfts (des Kaufvertrags) realisiert, sondern wenn der Veräußerer die vereinbarte Leistung erbracht hat.
Bei der Veräußerung von Waren und Erzeugnissen führt eine Aussonderung der verkauften Ware im Lager des Verkäufers noch nicht zu einer Gewinnrealisierung. Maßgebend ist die Aushändigung an den Abnehmer; evtl. Eigentumsvorbehalte sind ohne Belang.
Die Forderungen aus Versendungsverkäufen sind zu erfassen, sobald der Verkäufer die Ware dem Spediteur, Frachtführer usw. übergeben hat. Die Ware ist beim Verkäufer gewinnerhöhend auszubuchen. Beim Abnehmer wird sie erst aktiviert, wenn er die Verfügungsmacht erlangt hat. Eine vom Käufer vor Übergabe der Ware an den Transporte...