"Als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann gem. § 198 Absatz 3 BewG auch ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Bewertungsstichtag zustande gekommener Kaufpreis über das zu bewertende Grundstück dienen, wenn die maßgeblichen Verhältnisse hierfür gegenüber den Verhältnissen am Bewertungsstichtag unverändert sind. Maßgeblich für die jeweilige Jahresfrist ist das Datum des notariellen Kaufvertrages" (Rz. 8).
"Eine Änderung eines bestandskräftigen Bescheids über die Feststellung des Grundbesitzwerts nach § 173 Absatz 1 Nummer 2 AO kommt nur in Betracht, wenn das Grundstück schon vor der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung verkauft wurde, der Verkauf dem für die Feststellung zuständigen Bediensteten des Finanzamtes beim Erlass des Feststellungsbescheides jedoch nicht bekannt war und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsache trifft. Wird der Grundstückskaufvertrag hingegen erst nach der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung abgeschlossen, liegt eine nachträglich entstandene Tatsache vor, die nicht zu einer Änderung nach § 173 Absatz 1 Nummer 2 AO führt." (Rz. 9)
"Eine Änderung eines bestandskräftigen Bescheids über die Feststellung des Grundbesitzwerts nach § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO kommt in Betracht, wenn für das zu bewertende Grundstück nach der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung des Grundbesitzwerts und innerhalb eines Jahres nach dem Bewertungsstichtag im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ein Kaufpreis zustande gekommen ist und sich die maßgeblichen Verhältnisse zum Zeitpunkt des notariellen Kaufvertrages gegenüber den Verhältnissen am Bewertungsstichtag nicht verändert haben. Ein derartiger Kaufpreis hat durch das Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz vom 16. Juli 2021, veröffentlicht am 22. Juli 2021 im BGBl. I S. 2931, Eingang in den Tatbestand des § 198 Absatz 3 BewG gefunden. Ein derartiger Verkauf stellt somit ein Ereignis dar, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis)." (Rz. 10)
1. Gewöhnlicher Geschäftsverkehr (zu Rz. 8)
Als gewöhnlicher Geschäftsverkehr ist der Handel nach den wirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage zu verstehen, bei dem die Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern in Wahrung ihrer eigenen Interessen handeln (BFH v. 25.6.1965 – III 384/60, HFR 1966, 1 unter II. Abs. 2; BFH v. 26.4.2006 – II R 58/04, BStBl. II 2006 unter III.1.a] Abs. 3 = ErbStB 2006, 248 [Halaczinsky]; R B 9.1 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2019). Eine Begriffsbestimmung des "gewöhnlichen Geschäftsverkehrs" enthalten weder das BewG noch das BauGB oder die ImmoWertV. In § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG heißt es lediglich: "Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen."
Eine Beeinflussung durch ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse kann angenommen werden, wenn ein Kaufpreis erheblich von Kaufpreisen in vergleichbaren Fällen abweicht (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2 ImmoWertV).
Nach Auffassung des Verordnungsgebers ist für die Beurteilung, ob ungewöhnliche Verhältnisse vorliegen, einzig auf die erhebliche Abweichung der Kaufpreise in vergleichbaren Fällen abzustellen. Besondere Interessenlagen und verwandtschaftliche Beziehungen seien lediglich Indizien, die keine Bedeutung hätten, wenn ein marktüblicher Kaufpreis gezahlt würde (BR-Drucks. 171/10, 43; kritisch hierzu: Sprengnetter/Kierig in Sprengnetter, Immobilienbewertung, 41. EL, S. 1/3/3.13/3).
Da den Stpfl. die Nachweislast für den niedrigeren gemeinen Wert trifft (s. oben Abschn. II.1.), liegt es auch an ihm, das Zustandekommen eines Kaufpreises im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nachzuweisen.
Beraterhinweis Von entscheidender Bedeutung ist, dass ein Kaufpreis zustande gekommen ist. Reine Angebotspreise reichen nicht aus.
2. Konkurrenz: § 183 Abs. 1 BewG vs. § 198 Abs. 3 BewG
Ein innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Bewertungsstichtag zustande gekommener Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück, ist ein sog. zeitnah erzielter Kaufpreis (BFH v. 2.7.2004 – II R 55/01, BStBl. II 2004, 703 unter II.2.c] = ErbStB 2004, 272 [Halaczinsky]). Der Vergleichspreis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 BewG kann sich aus einem zeitnah erzielten Kaufpreis ergeben, wenn keine Vergleichspreise oder -faktoren vom Gutachterausschuss vorliegen (BFH v. 24.8.2022 – II R 14/20, BFH/NV 2023, 170 LS 1 und Rz. 21, 23 = ErbStB 2023, 29 [Marquardt]).
Wohnungseigentume, Teileigentume und Ein- und Zweifamilienhäuser werden (vorrangig) im Vergleichswertverfahren bewertet (§ 182 Abs. 2 BewG). Wenn ein zeitnah erzielter Kaufpreis als Vergleichspreis i.S.d. § 183 Abs. 1 Satz 1 BewG herangezogen wird, greift § 198 Abs. 3 BewG nicht. Der tatsächlich für das Bewertungsobjekt gezahlte Kaufpreis entspricht dem typisiert ermittelten Grundbesitzwert und ist somit kein niedrigerer Wert. Gleichwohl bleibt es dem Stpfl. unbenommen, einen niedrigeren gemeinen Wert (durch Sachverständigengutachten) nachzuweisen (BFH v. 24.8.2022 – II R 14/20, BFH/NV 2023, 170 Rz. 25 = Erb...