Leitsatz
1. Wird ein anlässlich der Übergabe von Vermögen zur Vorwegnahme der Erbfolge zugunsten des Übergebers und/oder dessen Ehegatten vorbehaltener Nießbrauch später abgelöst und werden dabei zugunsten des bisherigen Nießbrauchers auf dessen Lebenszeit wiederkehrende Leistungen vereinbart, die aus den Erträgen des übergebenen Vermögens gezahlt werden können, ist im Zweifel davon auszugehen, dass sich der bisherige Ertragsvorbehalt fortsetzt; an die Stelle des vorbehaltenen Nießbrauchs tritt die Versorgungsrente.
2. Beruft sich bei Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen der Übernehmer darauf, dass für die Zukunft ausreichend hohe Nettoerträge zu erwarten seien, so sind in die das Jahr der Übergabe und die beiden folgenden Jahre umfassende Ertragsprognose vor allem diejenigen Erträge einzubeziehen, die auf eine veränderte Unternehmensführung bzw. Bewirtschaftung zurückzuführen sind. Soweit die nach der Vermögensübergabe zu erwartende Ergebnissteigerung hingegen die Folge vom Vermögensübernehmer vorgenommener wesentlicher, über die bloße Erhaltung und Reparatur hinausgehender Veränderungen am übergebenen Vermögen ist, bleibt sie für die Ertragsprognose außer Betracht.
Normenkette
§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG
Sachverhalt
Im Jahr 1973 übertrug der Vater (V) der Klägerin dieser ein vermietetes Grundstück unter dem Vorbehalt des lebenslänglichen Nießbrauchs für sich und seine Ehefrau M (Mutter der Klägerin). V verstarb 1980. Im Streitjahr 1988 einigten sich die Klägerin und M über die Aufhebung des Nießbrauchs gegen Zahlung einer monatlichen lebenslangen wertgesicherten Rente an M i.H.v. 6.200 DM.
Die Klägerin begehrte, die Aufhebung des Nießbrauchs als entgeltliches Geschäft zu behandeln. Dem folgte das Finanzamt nicht; es ging vielmehr von einer nicht abziehbaren Unterhaltsrente aus. Das FG gab der Klage teilweise statt (vgl. EFG 2002, 255). Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Entscheidung
Ein anlässlich der Übergabe von Vermögen zur Vorwegnahme der Erbfolge zugunsten des Übergebers und/oder seines – ggf. überlebenden – Ehegatten vorbehaltenes Nutzungsrecht könne zu einem späteren Zeitpunkt abgelöst werden. Diese Ablösung könne ein entgeltliches Geschäft sein. Würden jedoch – wie hier – wiederkehrende Leistungen auf Lebenszeit des Übergebers vereinbart, die aus den Erträgen des übergebenen Vermögens gezahlt werden könnten, sei im Zweifel davon auszugehen, dass sich der bisherige Ertragsvorbehalt fortsetze. An die Stelle des vorbehaltenen Nießbrauchs trete die private Versorgungsrente. So liege es im Streitfall.
Das FG müsse im 2. Rechtsgang prüfen, ob die Versorgungsleistungen aus den Nettoerträgen des übergebenen Grundstücks erbracht werden könnten. Der gebotenen Ertragsprognose könne der durchschnittliche Nettoertrag des Jahres der Übergabe und der beiden vorangegangenen Jahre zugrunde gelegt werden.
Daneben könnten die Nettoerträge aber auch nach der günstigeren Prognose des Übernehmers ermittelt werden, wenn das übergebene Vermögen beim Übergeber – etwa wegen dessen fortgeschrittenen Alters – nur noch geringe Erträge abgeworfen habe, beim Übernehmer jedoch ausreichende Erträge erwarten lasse (siehe Leitsatz 2).
Hinweis
Im Streitfall ging der BFH im Anschluss an seine frühere Rechtsprechung zur "gleitenden" Vermögensübergabe (1. Schritt: Unentgeltliche Übertragung des Vermögens auf die nachfolgende Generation unter Vorbehalt des Nießbrauchs; 2. Schritt: Verzicht auf den Nießbrauch gegen wiederkehrende Leistungen) davon aus, dass der zweiaktige Übertragungsvorgang als einheitliche Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen zu werten sei (vgl. auch schon BFH, Urteile vom 3.6.1992, X R 14/89, BStBl II 1993, 23 und X R 147/88, BStBl II 1993, 98).
Danach kommt es nach der neueren, durch die Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 12.5.2003, GrS 1/00, BFH-PR 2003, 451, und GrS 2/00, BFH-PR 2003, 453 eingeleiteten Rechtsprechung darauf an, ob die Rentenzahlungen aus den durch das übergebene Vermögen erzielbaren Nettoerträgen bestritten werden können. Bejahendenfalls sind die von der Klägerin an ihre Mutter geleisteten wiederkehrenden Zahlungen in vollem Umfang als dauernde Last i.S.v. § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG abziehbar. Verneinendenfalls handelt es sich dagegen um eine Gegenleistungsrente, deren Barwert zu Anschaffungskosten führt, die gem. §§ 7, 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG für den auf das Gebäude entfallenden Anteil zum Abzug von AfA als Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung berechtigen. Der in den einzelnen wiederkehrenden Zahlungen enthaltene Zinsanteil ist nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG abziehbar.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.6.2004, X R 50/01