[Ohne Titel]

Prof. Dr. Peter Bilsdorfer / Michael Kaufmann[*]

Laut BGH dienen Selbstanzeigen dazu, bislang verborgene Steuerquellen zum Sprudeln zu bringen. Diese Zielsetzung muss sich innerhalb der gesetzlichen Leitplanken realisieren, insb. bei immer strengeren gesetzlichen Vorgaben, wie etwa dem Vollständigkeitsgebot. Der Beitrag stellt die rechtlichen Rahmenbedingungen in §§ 371 und 378 Abs. 3 AO dar sowie die praktischen Abläufe und auch Gefahren bei der Überprüfung von Selbstanzeigen.

[*] Beide Autoren sind Rechtsanwälte in der Kanzlei Kropp/Haag/Hübinger in Saarbrücken. Michael Kaufmann ist Fachanwalt für Strafrecht und Partner der Kanzlei, Prof. Dr. Peter Bilsdorfer ist Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes und counsel der Kanzlei.

1. Einleitung

Unter den 20.096 im Jahr 2021 eingestellten Steuerstrafverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO sind 5.770 Verfahren nach Selbstanzeigen wegen Steuerhinterziehung mit einem hinterzogenen Betrag bis 25.000 EUR enthalten.[1] In weiteren 331 Fällen erfolgte ein Absehen von der Verfolgung in besonderen Fällen, und zwar gegen Zahlung eines Geldbetrags an die Staatskasse von insgesamt circa 6,4 Mio. Euro (dazu Bilsdorfer/Kaufmann, DStR 2022, 348). Die Zahlen klingen bedeutsam; dieser Eindruck schwindet indessen[2], wenn man die Zahlen etwa von 2014 heranzieht. Hier wurden insgesamt 39.812 Selbstanzeigen vermeldet.[3]

Die folgenden Ausführungen geben zum einen die rechtlichen Rahmenbedingungen der Regelungen in §§ 371 und 378 Abs. 3 AO wieder. Diese werden im Anschluss dadurch ergänzt, dass die praktischen Abläufe und auch Gefahren bei der Überprüfung von Selbstanzeigen nachvollzogen werden.

[1] https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2021/10/Inhalte/Kapitel-3-Analysen/3-3-verfolgung-von-steuerstraftaten-2020.html
[2] Die Verfasser sind sich der Tatsache Bewusst, dass die Zahlen – wegen der zeitlichen Verschiebung – nur eingeschränkt vergleichbar sind. In der Tendenz vermitteln sie indessen einen eindeutigen Trend.
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/292791/umfrage/selbstanzeigen-wegen-steuerbetrug-in-deutschland/

2. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Selbstanzeigeregelung des § 371 AO

Vollständigkeitsgebot: Im Rahmen der aktuellen Fassung des § 371 AO steht das sog. Vollständigkeitsgebot mit im Vordergrund. Nach § 371 Abs. 1 S. 2 AO müssen die korrigierenden Angaben "zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen".

Geschieht dies, greift nach § 371 Abs. 2 AO gleichwohl keine Straffreiheit ein, wenn

  • dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten i.S.d. § 370 Abs. 1 AO oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 AO bekannt gegeben worden ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung, oder
  • dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist oder
  • ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung erschienen ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung, oder
  • ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder
  • ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b UStG, einer Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g EStG oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften erschienen ist und sich ausgewiesen hat oder
  • eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste, die nach § 370 Abs. 1 AO verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 25 000 EUR je Tat übersteigt, oder
  • ein in § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 6 AO genannter besonders schwerer Fall vorliegt.

Beachten Sie: Satz 2 der Vorschrift des § 371 Abs. 2 AO bestimmt, dass der Ausschluss der Straffreiheit nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. a und c nicht die Abgabe einer Berichtigung nach Abs. 1 für die nicht unter Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und c fallenden Steuerstraftaten einer Steuerart hindert.

Die Vorschrift ist damit für den Rechtsanwender zu einer "Komposition an Stolpersteinen" geworden: Derjenige, der als Berater (Steuerberater, Rechtsanwalt) eine Selbstanzeige vorzubereiten und ggf. zu erstatten hat[4], steht vielfach unter Zeitdruck und wird gerade vor dem Hintergrund des erwähnten Vollständigkeitsgebotes in § 371 Abs. 1 S. 2 AO zu aufwendigen Nachforschungen gezwungen, da die Frage einer unbeabsichtigt unvollständigen Nacherklärung ohne Bedeutung ist. Auch wenn bei der Nacherklärung über den geforderten Zeitraum von zehn Jahren ein (strafrechtlich relevanter) Sachverhalt nicht nacherklärt wird, beeinträchtigt dies die Wirksamkeit der Selbstanzeige.

Beraterhinweis Im Zweifel hilft nur die Vornahme einer Schätzung, die durchaus offengelegt werden kann (und regelmäßig auch sollte). Bei einer ...

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