Leitsatz
Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der kurze Zeit nach dem Erbanfall veräußerten land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen wesentlich niedriger ist als der nach § 166 BewG ermittelte Liquidationswert, kann der niedrigere gemeine Wert als Grundbesitzwert für Zwecke der Erbschaftsteuer festgestellt werden.
Normenkette
§ 166, § 198 BewG
Sachverhalt
Der Kläger erbte zwei Grundstücke, die als Ackerland genutzt wurden. Er veräußerte die Grundstücke etwa ein halbes Jahr nach dem Erwerb von Todes wegen zu einem Kaufpreis i.H.v. ca. 124 TEUR. Das FA folgte einer entsprechenden Erklärung zur Feststellung des Bedarfswertes jedoch nicht, sondern stellte für die wirtschaftliche Einheit "Betrieb der Land- und Forstwirtschaft" nach dem gesetzlichen Regelverfahren über den Liquidationswert (§ 166, § 162 Abs. 3 BewG) letztlich eine Summe von etwa 192 TEUR fest.
Auch die nach dem Rechtsbehelfsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Die Vorinstanz (FG Nürnberg, Urteil vom 14.1.2016, 4 K 814/15, Haufe-Index 9499700, EFG 2016, 1401) sah keine gesetzliche Regelung, welche aufgrund des Kaufvertrags die Feststellung eines niedrigeren gemeinen Werts ermöglichen könnte.
Entscheidung
Die begründete Revision führt unter Aufhebung der Vorentscheidung zu einer antragsgemäßen Änderung des angefochtenen Feststellungsbescheids; der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes ist hier zuzulassen.
Das FA hat die Höhe des Grundbesitzwertes den gesetzlichen Vorgaben entsprechend grundsätzlich richtig mit dem Liquidationswert festgestellt.
Gleichwohl kann dann, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass der gemeine Wert, der kurze Zeit nach dem Erbanfall veräußerten Flächen wesentlich niedriger ist als der im Regelverfahren ermittelte Liquidationswert, der niedrigere gemeine Wert nach § 9 Abs. 2 BewG festgestellt werden.
Im Rahmen des § 166 Abs. 2 BewG ist die Möglichkeit des Einzelnachweises eines niedrigeren Wertes zwar nicht eröffnet. Nur bei der Bewertung von Flächen, die dem Grundvermögen zuzurechnen sind, ist nach § 198 BewG ein Einzelnachweis zulässig. Danach kann ein niedrigerer gemeiner Wert durch einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum Besteuerungsstichtag erzielten Kaufpreis nachgewiesen werden.
Wegen eines drohenden Verstoßes gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot ist der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes aber bei verfassungskonformer Auslegung auch dann geboten, wenn dies nach dem Wortlaut des Bewertungsgesetzes nicht vorgesehen ist.
Das Übermaßverbot ist verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Bewertung extrem über das normale Maß hinausgehen. Extrem über das normale Maß hinaus geht z.B. das Dreifache des gemeinen Wertes; eine Bewertungsdifferenz von 10 % ist dagegen als Folge einer typisierten Bewertungsmethode hinzunehmen. Im Besprechungsfall beträgt der durch das FA nach den Regelverfahren ermittelte Wert das 1,55-Fache des vom Kläger durch Verkauf nachgewiesenen tatsächlichen Veräußerungserlöses. Damit übersteigt der Wert der typisierenden Betrachtung den nachgewiesenen gemeinen Wert so erheblich, dass sich der festgestellte Wert als extrem über das normale Maß hinausgehend darstellt.
Für den Streitfall bedeutet dies, dass der angefochtene Feststellungsbescheid dahin gehend zu ändern ist, dass der Grundbesitzwert mit dem vom Kläger nachgewiesenen niedrigeren Wert anzusetzen ist.
Hinweis
Im Besprechungsfall war zu entscheiden, ob für die Bewertung eines zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Grundstücks unter bestimmten Voraussetzungen ein Einzelnachweis in Gestalt eines Kaufvertrags möglich ist, obwohl das Gesetz diese Form der Wertermittlung nicht vorsieht. Der BFH hat den Einzelnachweis im Sonderfall zugelassen.
1. Grundbesitzwerte für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen sind nach §§ 158ff. BewG zu ermitteln; § 157 Abs. 2 BewG. Wird ein Betrieb innerhalb eines Zeitraums von 15 Jahren nach dem Bewertungsstichtag veräußert, erfolgt die Bewertung mit dem sog. "Liquidationswert"; § 162 Abs. 3 BewG. Dieser Liquidationswert orientiert sich gemäß § 166 Abs. 2 BewG im Wesentlichen an den Bodenrichtwerten. Ein Einzelnachweis des Grundstückswerts, z.B. durch Vorlage eines zeitnah abgeschlossenen Kaufvertrags, ist hier gesetzlich nicht vorgesehen.
2. Der BFH hatte bereits 2004 entschieden, dass die Typisierung, die einer Grundstücksbewertung zugrunde liegt, keine Verletzung des Übermaßverbots im Einzelfall rechtfertigt (BFH, Urteil vom 5.5.2004, II R 45/01, BFH/NV 2004, 1140, BStBl II 2004, 1036 zur Bewertung erbbaurechtsbelasteter Grundstücke nach § 148 Abs. 1 Satz 1 BewG a.F.). Das Übermaßverbot ist verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Belastung extrem über das normale Maß hinausgehen. Diese Grenze ist umso früher erreicht, je höher im Einzelfall die letztlich anzulegenden Steuertarife sind. Als Folge ist eine verfassungskonforme Auslegung dahin möglich – und auch geboten –, den Nachweis des niedrigeren gemeinen Wertes des Grundstücks zuzul...