Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Das BVerfG hat entschieden, dass die Regelung über die Ersatzbemessungsgrundlage im Grunderwerbsteuerrecht mit dem Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, und den Gesetzgeber verpflichtet, spätestens bis zum 30.6.2016 rückwirkend zum 1.1.2009 eine Neuregelung zu treffen. Bis zum 31.12.2008 ist die Vorschrift des § 8 Abs. 2 GrEStG weiter anwendbar.
Sachverhalt
Regelbemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer ist nach § 8 Abs. 1 GrEStG der Wert der Gegenleistung, insbesondere der Kaufpreis. Auf die Ersatzbemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 2 GrEStG i. V. m. §§ 138 ff. BewG ist zurückzugreifen bei Fehlen einer Gegenleistung, bei Erwerbsvorgängen auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage sowie bei Übertragung von mindestens 95 % der Anteile an Gesellschaften.
Der Entscheidung des BVerfG liegen folgende Sachverhalte zugrunde:
- Klägerin des Ausgangsverfahrens zu 1 BvL 13/11 war eine Körperschaft US-amerikanischen Rechts. Sie kaufte im Jahr 2001 eine GmbH und eine GbR, zu deren Gesellschaftsvermögen zahlreiche unbebaute, bebaute sowie land- und forstwirtschaftliche Grundstücke gehörten.
- Klägerin des Ausgangsverfahrens 1 BvL 14/11 war eine GmbH. Diese kaufte im Jahr 2002 von ihrer Alleingesellschafterin, einer AG, den einzigen Geschäftsanteil an einer anderen GmbH, die Eigentümerin eines bebauten und unbebauten Grundstücks war.
Die Einsprüche sowie die Klagen vor dem FG gegen den Grunderwerbsteuerbescheid blieben erfolglos. Der BFH hat die beiden Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Ersatzbemessungsgrundlage vorgelegt.
Entscheidung
Das BVerfG hat entschieden, dass § 8 Abs. 2 GrEStG i. d. F. des JStG 1997 sowie in allen seitherigen Fassungen mit Art. 3 GG unvereinbar ist. Denn die Regelung zur Ersatzbemessungsgrundlage führt zu einer Ungleichbehandlung gegenüber den Steuerschuldnern, deren Grunderwerbsteuer nach der Regelbemessungsgrundlage erhoben wird. Diese Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Nach § 8 Abs. 1 GrEStG bemisst sich die Grunderwerbsteuer nach dem Wert der Gegenleistung. Diese entspricht regelmäßig dem gemeinen Wert des Grundstücks am maßgeblichen Stichtag (Steuerentstehungszeitpunkt), da die Vertragsparteien meist gegenläufige Interessen verfolgen. Dagegen weichen die Werte, die nach den Bewertungsregeln der §§ 138 ff. BewG als Ersatzbemessungsgrundlage ermittelt werden, erheblich vom gemeinen Wert ab.
Ein hinreichend gewichtiger Sachgrund zur Rechtfertigung dieser erheblichen Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich. Die mit der Ersatzbemessungsgrundlage regelmäßig verbundenen Abweichungen vom gemeinen Wert können nicht mit etwaigen Lenkungszielen der Bewertungsregeln gerechtfertigt werden.
Hinweis
Obwohl die Ersatzbemessungsgrundlage ab dem 1.1.2009 nicht mehr anwendbar und vom Gesetzgeber durch eine Neuregelung zu ersetzen ist, wird die Tarifnorm des § 11 Abs. 1 GrEStG hiervon nicht erfasst. Zudem steht die Unanwendbarkeit der Ersatzbemessungsgrundlage der Steuererhebung in den Fällen der Regelbemessungsgrundlage des § 8 Abs. 1 GrEStG nicht entgegen. Die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch § 8 Abs. 2 GrEStG führt nicht zur Nichtigkeit dieser Norm, sondern zur Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz. Die Fortgeltung von § 8 Abs. 2 GrEStG wird lediglich bis zum 31.12.2008 angeordnet. Für die Zeit danach bleibt es bei dessen Unwirksamkeit.
Viele Grunderwerbsteuerfestsetzungen nach dem 1.1.2009 dürften bestands- oder rechtskräftig abgeschlossen sein. Die Finanzverwaltung hat zwar Festsetzungen, die die Steuer nach den Grundbesitzwerten bemessen, hinsichtlich der Frage, ob die Heranziehung der Grundbesitzwerte als Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer verfassungsgemäß ist, seit 2010 vorläufig nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 AO durchgeführt. Obwohl die rückwirkende Neuregelung angesichts der festgestellten Mängel wahrscheinlich zu einer Höherbewertung des Grundbesitzes führen wird, dürften Steuerpflichtige in diesen Fällen vor nachteiligen Folgen durch den Vertrauensschutz gewährenden § 176 AO geschützt sein. Das gilt allerdings nicht für noch zu erlassende erstmalige Grunderwerbsteuerbescheide.
Link zur Entscheidung
BVerfG, Beschluss vom 23.06.2015, 1 BvL 13/11, 1 BvL 14/11