FinMin Baden-Württemberg, Erlaß v. 7.8.2002, 3 - S 4543/9
Bezug: Erlass vom 18.5.2001, 3 – S 4543/9
1.1 Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird die Grunderwerbsteuer auf Antrag, der formlos gestellt werden kann, nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang durch Vereinbarung rückgängig gemacht wird, bevor das Eigentum am Grundstück auf den Erwerber übergegangen ist, und die Rückgängigmachung innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer erfolgt. Die Vorschrift erfasst in erster Linie die auf einem freien Willensentschluss der Vertragsparteien beruhende und in deren gegenseitigem Einvernehmen erfolgende Aufhebung eines Erwerbsvorgangs durch einen Aufhebungsvertrag.
Zu der Frage, ob ein solcher Aufhebungsvertrag der notariellen Beurkundung nach § 311b Abs. 1 BGB (entspricht § 313 BGB a.F.; vgl. Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001, BGBl I 2001 S. 3138) bedarf, wird gebeten nachfolgende Auffassung zu vertreten:
Nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist die Rückgängigmachung eines Rechtsgeschäfts durch Vereinbarung nicht von einer bestimmten formalen vertraglichen Gestaltung abhängig. Auch hat sich der Bundesfinanzhof in seinen bisher zu dieser Vorschrift ergangenen Entscheidungen nicht mit den Formerfordernissen der Vereinbarung über die Rückgängigmachung eines Grundstückskaufvertrages auseinandergesetzt. Da die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG jedoch die zivilrechtlich wirksame Beseitigung des zur Grunderwerbsteuer führenden Rechtsvorgangs verlangt, kommt hinsichtlich der Frage, welche Form der Aufhebungsvertrag haben muss, der höchstrichterlich Zivilrechtsprechung entscheidende Bedeutung zu.
Der Bundesgerichtshof hat seine frühere Rechtsprechung, nach der die Aufhebung und die Verpflichtung zur Aufhebung eines Grundstückskaufvertrages bis zur Umschreibung des Eigentums im Grundbuch formfrei war, mit Urteil vom 30.4.1982 (NJW S. 1639) aufgegeben. Nach dieser geänderten, inzwischen als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung (BGH-Urteile vom 30.9.1993, NJW S. 3323, und vom 7.10.1994, NJW S. 3346) stellt sich die Rechtslage derzeit wie folgt dar:
Liegt ein Kaufvertrag ohne Auflassungserklärung und ohne Eintragung einer Auflassungsvormerkung im Grundbuch vor, kann der Kaufvertrag formfrei aufgehoben werden. Die Aufhebung begründet in Bezug auf das veräußerte Grundstück keine wie auch immer geartete unmittelbare oder mittelbare Rückübertragungs- oder Erwerbsverpflichtung.
Bei einem Kaufvertrag mit Auflassungserklärung und ohne Eintragung einer Auflassungsvormerkung bzw. ohne Antrag auf Umschreibung des Eigentums im Grundbuch kann die Vertragsaufhebung ebenfalls formfrei vorgenommen werden. In derartigen Fällen befindet sich das Grundstück noch im Eigentum des Verkäufers, der es anderweitig veräußern oder belasten kann. Entsprechendes gilt, wenn der Veräußerer einen Eintragungsantrag zu Gunsten des Auflassungsempfängers gestellt hat, den er jederzeit wieder zurücknehmen kann.
Bei Vorliegen eines Kaufvertrages und eines Anwartschaftsrechts des Auflassungsempfängers besteht für den Aufhebungsvertrag Beurkundungszwang. Ein Anwartschaftsrecht des Auflassungsempfängers liegt vor, wenn er eine gesicherte Rechtsposition innehat, die der andere Vertragsbeteiligte (der Veräußerer) nicht mehr einseitig zerstören kann. Der Erwerb eines Anwartschaftsrechts durch den Auflassungsempfängers ist in den Fällen zu bejahen, in denen er selbst den Antrag auf Umschreibung des Eigentums im Grundbuch gestellt hat oder eine Auflassungsvormerkung zu seinen Gunsten im Grundbuch eingetragen ist, die ihn nach den Vorschriften der §§ 883 ff. BGB vor einer anderweitigen Verfügung des Verkäufers schützt. Weitere Voraussetzung für das Entstehen eines Anwartschaftsrechts des Auflassungsempfängers ist, dass der Antrag auf Eintragung des Eigentums oder die Eintragung einer Auflassungsvormerkung nach der Auflassung erfolgt. Durch die Eintragung einer Auflassungsvormerkung vor der Auflassung entsteht daher noch kein derartiges Anwartschaftsrecht.
Wird ein bestehendes Anwartschaftsrecht wieder aufgegeben, z.B. durch formlose Aufhebung der Auflassung oder durch Rücknahme des Eintragungsantrags, entfällt das Formerfordernis bzw. der zunächst unwirksame Aufhebungsvertrag wird dadurch geheilt.
1.2 Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG wird auf Antrag die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn die Vertragsbedingungen nicht erfüllt werden und der Erwerbsvorgang vor Eigentumsübergang auf Grund eines Rechtsanspruchs rückgängig gemacht wird.
In den Fällen des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG erfolgt die Rückgängigmachung regelmäßig durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Berechtigten. Sie ist formfrei möglich und kann auch konkludent erklärt werden (Palandt, 61. Auflage, § 313 Rn. 17). Andererseits besteht auch die Möglichkeit, einen Aufhebungsvertrag abzuschließen. Dieser bedarf ebenfalls nicht der Form des § 311b Abs. 1 BGB (Palandt,...