Leitsatz
Besteht eine wirtschaftliche Einheit aus zahlreichen verschieden ausgestatteten, zu unterschiedlichen Zwecken nutzbaren und getrennt vermietbaren Räumlichkeiten und sind die marktgerechten Mieten für die einzelnen Raumeinheiten unterschiedlich hoch, ist für jede nicht vermietete Raumeinheit gesondert zu prüfen, ob der Steuerpflichtige den Leerstand zu vertreten hat.
Normenkette
§ 33 Abs. 1 GrStG
Sachverhalt
Die Kläger begehren für ihr im Sachwertverfahren bewertetes, aus 21 Raumeinheiten bestehendes Geschäftsgrundstück einen Grundsteuererlass für 1998 wegen des Leerstands von fünf Raumeinheiten (u.a. Keller- bzw. Lagerräume). Einspruch und Klage blieben erfolglos. Der BFH hatte das FG-Urteil im ersten Rechtsgang aufgehoben und die Sache mit der Maßgabe an das FG zurückverwiesen, die notwendigen Feststellungen zur üblichen Jahresrohmiete sowie einer rechtserheblichen und von den Klägern ggf. zu vertretenden Ertragsminderung zu treffen. Auch im zweiten Rechtsgang hat das FG die Klage abgewiesen. Die Kläger hätten den Leerstand insgesamt zu vertreten, weil sie Teile dieser Raumeinheiten zu überhöhten Mieten angeboten hätten (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.6.2011, 3 K 3326/07, Haufe-Index 3056957).
Entscheidung
Die Revision der Kläger führte aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen erneut zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung an das FG. Dieses hat zu prüfen, in welchem Umfang die Kläger die Minderung des normalen Rohertrags zu vertreten haben.
Hinweis
Ein Grundsteuererlass setzte nach der bis zum 31. 12. 2007 geltenden Fassung des § 33 Abs. 1 GrStG voraus, dass bei bebauten Grundstücken der normale Rohertrag um mehr als 20 % gemindert ist und der Steuerschuldner die Minderung des Rohertrags nicht zu vertreten hat.
1. Der BFH hat in seinem grundlegenden Urteil vom 24.10.2007 (II R 5/05, BFH/PR 2008, 69) klargestellt, dass es für die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Grundsteuererlasses nicht auf Differenzierungen nach typischen oder atypischen, nach strukturell bedingten oder nicht strukturell bedingten, nach vorübergehenden oder nicht vorübergehenden Ertragsminderungen oder auf die verschiedenen Möglichkeiten, diese Merkmale zu kombinieren, ankommt.
a) Daran anknüpfend hat der BFH mit weiterem, den Streitfall im I. Rechtsgang betreffenden Urteil vom 24.10.2007 (II R 4/05, BFH/NV 2008, 405) die Voraussetzungen eines Grundsteuerlasses für ein im Sachwertverfahren bewertetes bebautes Grundstück präzisiert. Hier ist die Ertragsminderung nur an der üblichen Jahresrohmiete zu messen, die nach den Verhältnissen zu Beginn des Erlasszeitraums zu schätzen ist. Dabei bestimmt sich die übliche Jahresrohmiete nicht nach den auf dem betroffenen Grundstück tatsächlich erzielten Mieten oder nach deren Durchschnitt, sondern nach der für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlten Miete. Der Steuerpflichtige hat die Ertragsminderung dann nicht zu vertreten, wenn er sich nachhaltig um eine Vermietung zu einer Miete innerhalb der Spanne eines marktgerechten Mietzinses bemüht hat.
b) Diese Grundsätze hat der BFH nunmehr ausdrücklich bekräftigt. Beim Leerstand einer wirtschaftlichen Einheit, die aus zahlreichen verschieden ausgestatteten, zu unterschiedlichen Zwecken nutzbaren, getrennt vermietbaren Räumlichkeiten mit unterschiedlich hohen marktgerechten Mieten besteht, bedarf der Grundsteuererlass einer differenzierten Beurteilung. Hier muss für jede einzelne nicht vermietete Raumeinheit gesondert geprüft werden, ob der Leerstand vom Steuerpflichtigen zu vertreten ist. Ein Leerstand mehrerer Raumeinheiten kann deshalb nicht insgesamt vom Steuerpflichtigen zu vertreten sein, wenn er nur für einzelne dieser Raumeinheiten überhöhte Mieten fordert.
2. Für die Praxis folgt daraus ein u.U. ganz erheblicher Ermittlungsaufwand. Für mehr oder weniger "überschlägige" Beurteilungen der üblichen Jahresrohmiete und dessen, was der Steuerpflichtige als Ertragsminderung zu "vertreten" hat, ist kein Raum. Zur Begrenzung des Kostenaufwands und -risikos kann es deshalb empfehlenswert sein, insoweit eine tatsächliche Verständigung herbeizuführen.
3. Der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen für einen Grundsteuererlass ab 1.1.2008 verschärft, um Grundsteuerausfälle der Kommunen zu vermeiden. Nunmehr ist ein Grundsteuererlass gem. § 33 Abs. 1 GrStG n.F. nur zu gewähren, wenn bei Betrieben der Land- und Forstwirtschaft und bei bebauten Grundstücken der normale Rohertrag des Steuergegenstandes um mehr als 50 Prozent gemindert ist; die Ermittlung der Ertragsminderung wurde vereinfacht. Der BFH (BFH, Urteil vom 18.4.2012, II R 36/10, BFH/NV 2012, 1263, BFH/PR 2012, 286) hat das rückwirkende Inkrafttreten des § 33 Abs. 1 GrStG n.F. ausdrücklich gebilligt. Über die hiergegen anhängige Verfassungsbeschwerde ist noch nicht entschieden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 27.9.2012 – II R 8/12