Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Bei der Prüfung, ob die gebotene steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes durch das Kindergeld nicht in vollem Umfang bewirkt wurde und deswegen bei der Veranlagung zur Einkommensteuer der Kinderfreibetrag unter Verrechnung des Kindergeldes anzusetzen ist, ist auf den Kalendermonat abzustellen.
Normenkette
§ 31 EStG , § 32 Abs. 6 EStG , § 36 Abs. 2 EStG
Sachverhalt
Der Kläger – ein Ausländer – lebte mit seiner Frau und seinen fünf Kindern in Deutschland. Er bezog für alle Kinder ab Mai 1997 Kindergeld. In seiner Einkommensteuererklärung für 1997 beantragte er den Ansatz eines anteiligen Kinderfreibetrags für die Monate Januar bis April 1997. Der Beklagte gewährte den Freibetrag nur anteilig, weil dieser bei der gebotenen Jahresbetrachtung nur für zwei Kinder höher sei als das gewährte Kindergeld. Das FG gab der Klage statt (EFG 1999, 607).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das Urteil. Die monatsbezogene Günstigerprüfung ergebe sich sowohl aus einzelnen gesetzlichen Regelungen als auch aus dem Zweck des Familienleistungsausgleichs, die geminderte Leistungsfähigkeit von Familien mit Kindem steuerlich zu berücksichtigen und darüber hinaus die besondere Leistung der Familie für die Gesellschaft stärker als bisher anzuerkennen. Die anzustellende Vergleichsrechnung nach dem Monats- und Jahresprinzip falle zu Gunsten des Monatsprinzips aus (wird ausführlich dargestellt).
Die Einwände gegen dieses Ergebnis, dass die monatsbezogene Vergleichsrechnung dem Steuerpflichtigen mehr gewähre, als ihm nach den Vorschriften des einkommensteuerrechtlichen Familienleistungsausgleichs zustehe, und dass sie zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führe, wies der BFH zurück.
Hinweis
Nach § 31 EStG 1997 wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes durch den Kinderfreibetrag nach § 32 EStG oder durch das Kindergeld (§ 62 ff. EStG) bewirkt. Wird die gebotene steuerliche Freistellung durch das während des Kalenderjahrs gezahlte Kindergeld nicht in vollem Umfang bewirkt, ist bei der Veranlagung zur Einkommensteuer der Kinderfreibetrag abzuziehen (§ 31 Satz 4 EStG; sog. Günstigerprüfung). In diesem Fall sind bei der Veranlagung das gezahlte Kindergeld (oder vergleichbare Leistungen) der Einkommensteuer hinzuzurechnen, um eine Doppelbegünstigung zu vermeiden (§ 31 Satz 5, § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Die Frage ist, ob in diese Vergleichsrechnung nur diejenigen Monate einzubeziehen sind, für die Kindergeld gezahlt worden ist (Monatsprinzip) oder ob dem während des Veranlagungszeitraums insgesamt gezahlten Kindergeld der Kinderfreibetrag für das gesamte Kalenderjahr gegenüberzustellen ist (Jahresprinzip).
Im Kindergeldrecht sind grundsätzlich beide Prinzipien zu beachten. So hat der BFH die Frage, wann das Kind Einkünfte und Bezüge im Sinn von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG "hat", mit dem Hinweis auf das Zuflussprinzip (§ 11 Abs. 1 EStG) und das Jahresprinzip (§ 2 Abs. 7 EStG) beantwortet, aber die Zurechnung der Einkünfte und Bezüge innerhalb des Zuflussjahrs nach der "wirtschaftlichen Zuordnung" zu den einzelnen Monaten bestimmt, auf die sie "entfallen" (§ 32 Abs. 4 Sätze 7 und 8 EStG,BFH-Urteil vom 14.5.2002, VIII R 57/00, BFH-PR 2002, 372).
Auch bei der Günstigerprüfung beim Kinderfreibetrag kommt es auf die Zuordnung innerhalb des Jahrs (Veranlagungszeitraum) an; die Prüfung ist deshalb monatsbezogen. Dies entspricht auch dem Zweck des Familienleistungsausgleichs, der die Ermittlung des für den Berechtigten günstigsten Ergebnisses fordert. Die monatsbezogene Günstigerprüfung ist für den Berechtigten vorteilhafter.
Durch das am 1.1.2000 in Kraft getretene Gesetz zur Familienförderung (BGBl 1 2000, 4) ist der Freibetrag in § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG als ein Jahresbetrag ausgewiesen worden, um dem für das Einkommensteuerrecht maßgeblichen Jahresprinzip Rechnung zu tragen. Es ist streitig, ob damit die Günstigerprüfung nicht mehr monatsbezogen, sondern jahresbezogen vorzunehmen ist (zum Streitstand vgl. u.a. Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht § 31 Rz. 266 ? 282). Da § 32 Abs. 6 EStG weiterhin eine Zwölftelung des Freibetrags vorschreibt, hat sich meines Erachtens die Rechtslage nicht verändert.
Die Frage wird sich vor allem in den sog. Wechselfällen stellen, d.h. in Fällen, in denen Kindergeld innerhalb des Kalenderjahrs nach unterschiedlichen Sätzen zu zahlen ist, z.B. weil ein Kind aus der Förderung ausgeschieden ist und damit das bisher zweite Kind zum ersten oder das dritte zum zweiten geworden ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.12.2002, VIII R 65/99