Leitsatz
Ein Arbeitszimmer kann auch dann "häuslich" i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG sein, wenn es sich in einem Anbau zum Wohnhaus des Steuerpflichtigen befindet und nur über einen separaten Eingang vom straßenabgewandten Garten aus betreten werden kann.
Normenkette
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG
Sachverhalt
Der Kläger bewohnt mit seiner Ehefrau ein Einfamilienhaus, das über eine Wohnfläche von 233 qm verfügt. In einem Anbau befindet sich ein weiterer Raum von 89 qm, den der Kläger als Arbeitszimmer nutzt. Der Anbau verfügt über einen Eingang vom Garten des Wohnhauses aus; einen Durchgang zwischen Wohnhaus und Anbau gibt es nicht. Der Garten ist von der Straße aus nicht zugänglich; er kann nur von der Küche und vom Esszimmer des Wohnhauses aus oder durch die Garage betreten werden.
Das FA berücksichtigte lediglich Aufwendungen für das Arbeitszimmer i.H.v. 2.400 DM. Das FG schloss sich dieser Ansicht an. Der Anbau bilde zusammen mit dem Wohnhaus eine bauliche Einheit und falle dementsprechend unter die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG. Die berufliche Nutzung des Arbeitszimmers betrage zwar mehr als 50 % der gesamten beruflichen Tätigkeit des Klägers; das Arbeitszimmer bilde aber nicht den Mittelpunkt dieser Tätigkeit.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung. Das FG habe zutreffend die räumliche Einbindung des Arbeitszimmers in die häusliche Sphäre des Klägers bejaht. Diese erstrecke sich auch auf den im Garten gelegenen, unmittelbar an das Einfamilienhaus angrenzenden Anbau.
Hinweis
1. Die vorliegende Entscheidung ergänzt das Grundsatzurteil vom 19.9.2002, VI R 70/01, BFH- PR 2003, 88. Sie trägt zur weiteren Klärung bei, was als "häuslich" i.S. der genannten Vorschrift zu beurteilen ist.
2. Die "Häuslichkeit" kann sich auf eine Wohnung, aber auch auf ein Wohnhaus beziehen. Die Rechtsprechung des BFH hat dabei augenscheinlich die Tendenz, dass sämtliche Räume eines Einfamilienhauses auch zu dieser (wirtschaftlichen) Einheit gehören und regelmäßig nicht aus dieser Zugehörigkeit herausgelöst werden können.
Anders kann dies dann sein, wenn aufgrund gewisser Besonderheiten kein Arbeitszimmer im herkömmlichen Sinn vorliegt. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn die Funktion des Raums (z.B. Lagerung von Waren oder gefährlichen Materialien) bzw. die Intensität der Nutzung (Praxis, Publikumsverkehr usw.) zu dem Schluss führen, dass sich der zu beurteilende Raum vom Normalbild des häuslichen Arbeitszimmers entfernt hat.
3. Der BFH weist nochmals ausdrücklich darauf hin, dass die angesprochene Frage der Einbindung eines Arbeitszimmers in die häusliche Sphäre im Wesentlichen die Tatsachenfeststellung bzw. -würdigung betrifft, die in erster Linie von den Finanzgerichten beantwortet werden muss.
4. Neu ist der Hinweis des BFH dahingehend, dass – entgegen der Argumentation verschiedener Finanzgerichte – die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zur Auslegung des Nr. 6b nicht herangezogen werden kann. Die gesetzlichen Regelungen zur Beschränkung des Abzugs von Fahrten zwischen Wohnung und Betriebs- bzw. Arbeitsstätte sind verkehrspolitische Lenkungsnormen, die der Verlagerung des Betriebs- und Arbeitsstättenverkehrs auf die öffentlichen Verkehrsmittel dienen. Dieser Regelungszweck hat dazu geführt, dass der Privatbereich des Steuerpflichtigen im Rahmen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG – in wertender Betrachtung – sehr weit gefasst wurde, mit der Folge, dass auch Fahrten von einem in der Wohnung befindlichen Arbeitszimmer zum Arbeitsplatz als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, folglich nicht als Dienstreisen angesehen wurden.
5. Demnächst werden weitere Entscheidungen zum häuslichen Arbeitszimmer zu erwarten sein; diese betreffen in erster Linie die Frage des "Mittelpunkts" der Erwerbstätigkeit.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.11.2002, VI R 164/00