Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Eine haftungsauslösende Gehilfentätigkeit kann vorliegen, wenn der Außendienstmitarbeiter eines Großhändlers einem bestimmten Kunden das auf seinen Namen lautende Barverkaufskonto als "zweite Einkaufsmöglichkeit" für den Bedarf der von diesem betriebenen Gaststätte zur Verfügung gestellt hat, der Kunde diese Möglichkeit mehrfach nutzt und diesen Wareneinkauf unverbucht lässt.
Sachverhalt
Der Kläger verkaufte als Außendienstmitarbeiter der Firma B u. a. an den Inhaber A einer Pizzeria Waren der Firma B. Die Verkäufe wurden z. T. über ein Debitorenkonto, teilweise aber auch über ein auf den Namen des Klägers lautendendes Barverkaufskonto erfasst. Aufgrund von Ermittlungen der Steuerfahndung bei der Firma B und bei A wurde festgestellt, das A Steuern hinterzogen hat, indem er die über das Barverkaufskonto abgerechneten Einkäufe sowie die entsprechenden Verkäufe in seiner Buchhaltung nicht erfasst und in den Steuererklärungen nicht erklärt hatte.
Im Folgenden wurde der Kläger vom Landgericht L (LG) rechtskräftig wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung verurteilt. Daneben nahm das Finanzamt ihn wegen Beihilfe an der Steuerhinterziehung des A nach § 71 AO für dessen Umsatzsteuerschulden in Haftung.
Entscheidung
Das FG hat entschieden, dass die Haftungsinanspruchnahme des Klägers zu Recht erfolgt ist.
Der Steuerschuldner A hat den Tatbestand einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung nach § 370 AO bezüglich der zu niedrig erklärten Umsatzsteuer aus dem Betrieb seiner Pizzeria erfüllt. Zu dieser Steuerhinterziehung habe der Kläger mit seiner Handlungsweise Beihilfe nach § 27 StGB geleistet und damit i. S. v. § 71 AO an dieser Tat teilgenommen. Das Vorliegen der vorsätzlichen Beihilfetätigkeit des Klägers zugunsten des A ergebe sich aus dem rechtskräftigen Urteil des LG, welches umfangreiche Feststellungen auch zu den Beihilfehandlungen des Klägers getroffen habe. Es habe keinen sachlichen oder wirtschaftlichen Grund gegeben, Einkäufe über das auf den Namen des Klägers laufende Barverkaufskonto buchen zu lassen, obwohl A über ein eigenes Debitorenkonto verfügte. Durch die Verbuchung auf dem Barverkaufskonto wurde es A erleichtert, den Überblick über die nicht in seiner eigenen Buchhaltung verbuchten Einkäufe zu behalten.
Allgemein brauche die Hilfeleistung des Gehilfen für den Taterfolg nicht ursächlich sein; sie müsse die Tathandlung des Haupttäters oder den Erfolgseintritt aber mindestens erleichtern oder fördern. Die Inanspruchnahme des Gehilfen einer Steuerhinterziehung setze demnach auch die Feststellung voraus, dass dessen Beihilfehandlung zu dem eingetretenen Erfolg einer Steuerverkürzung beigetragen habe, für ihn also (zumindest) mitursächlich gewesen sei.
Hier sei die Steuerhinterziehung des A durch den Kläger dadurch tatsächlich gefördert worden, dass dieser auf seinen Namen ein Barverkaufskonto eröffnet und unterhalten habe, über das A – neben den Einkäufen über sein reguläres Debitorenkonto – bar oder unbar Waren bei der Firma B einkaufen konnte. Mit den Warenbestellungen über dieses (zweite) Kundenkonto habe A erreicht, dass die Bestellungen und Zahlungen nicht auf ihn hinwiesen und ihm nicht zuzuordnen gewesen seien, denn sein "offizieller" Wareneinkauf sei über ein Kundenkonto bei der Firma B gelaufen. Der Kläger habe hier auch den subjektiven Tatbestand der Beihilfe zur Steuerhinterziehung des A verwirklicht, er habe die Beihilfehandlung vorsätzlich begangen. Hinsichtlich der Haupttat genüge bedingter Vorsatz. Es reiche aus, dass der Gehilfe den Erfolg der Haupttat als möglich in Kauf nehme.
Hinweis
Sind Vorgänge sowohl in strafrechtlicher als auch in abgabenrechtlicher Hinsicht zu ermitteln und zu würdigen, so ist das FG zwar an die tatsächlichen Feststellungen einer vorangegangenen strafgerichtlichen Entscheidung nicht gebunden, es ist jedoch nicht gehindert, sich die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts zu eigen zu machen, wenn nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) diese Feststellungen zutreffend sind und wenn keine substantiierten Einwendungen gegen die Feststellungen des Strafgerichts erhoben werden. Zur Übernahme der vom FG für zutreffend erachteten Feststellungen und Beweiswürdigungen des Strafgerichts besteht besonders dann Anlass, wenn die strafgerichtliche Entscheidung bereits rechtskräftig geworden ist (vgl. BFH, Urteil v. 2.12.2003, VII R 17/03, BFH/NV 2004 S. 597).
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil v. 01.07.2020, 3 K 3072/18