Leitsatz
Wird im Vorunternehmen ein Teilbetrieb gesondert geführt, so haftet der Übernehmer nach § 75 AO, wenn die wesentlichen Grundlagen des Teilbetriebes, insbesondere hinsichtlich Warenbestand und Arbeitsverträgen mit Geschäftsführern, die für den wirtschaftlichen Erfolg des Teilbetriebes verantwortlich sind, mit übernommen werden. Die Haftung beschränkt sich auf die Kapitalertragssteuern, die in Bezug auf die Erträge des Teilbetriebes angefallen sind.
Sachverhalt
Eine deutsche Tochtergesellschaft einer amerikanischen Incorporated hatte in der Rechtsform einer GmbH Speditionsgeschäfte betrieben. In den 90er Jahren wurde ein zweiter Geschäftszweig, ein Pharmavertrieb, aufgebaut, der vor allem in den Ländern des ehemaligen Ostblocks geschäftlich erfolgreich war. Maßgeblich war dabei insbesondere die herausragende Vertriebstätigkeit der beiden Geschäftsführer der GmbH. Die Medikamente wurden ausschließlich mit der eigenen Spedition in das Absatzgebiet befördert. Insbesondere auf Kundenwunsch trat das Unternehmen in zwei verschiedenen Gliederungen auf, einmal als "Pharma Division" und einmal als "Transporte weltweit". Anlässlich einer Betriebsprüfung wurden überhöhte Geschäftsführervergütungen festgestellt, die durch ein Finanzgerichtsurteil bestätigt wurden. Anschließend wurde für den Zeitraum Januar bis Dezember 1998 Kapitalertragssteuer in Höhe von DM 52.248 nebst Solidaritätszuschlag festgesetzt. Ende November 1998 wurde eine neue GmbH gegründet, die Anfang 1999 sämtliche Geschäfte sowie den entsprechenden Teilwarenbestand des bislang als "Pharma Division" bezeichneten Teilbetriebes übernahm. Auch die Geschäftsführer, der Firmenwert sowie diverse Büroeinrichtungen und Firmenfahrzeuge wurden von der neuen Gesellschaft übernommen. Gleich blieben ebenfalls die Adresse und die Büroräume sowie der Kundenstamm. Über das Vermögen der Rumpffirma mit dem verbliebenen Speditionsbereich wurde Anfang 2001 das Insolvenzverfahren eröffnet. Das Finanzamt nahm die übernehmende GmbH als Haftungsschuldner gem. § 75 AO in Anspruch.
Entscheidung
Das Finanzgericht hat sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 75 AO angenommen, die übernommenen Kapitalertrag-Steuerschulden jedoch nur quotal anerkannt. Die Haftung nach § 75 AO nimmt den Übernehmer für die Steuerschulden des übernommenen Unternehmens in Anspruch, weil ihm die Wirtschaftskraft und die Gewinnchancen zukünftig zustehen, die vor der Übernahme jedoch zu - meist anderweitig nicht beitreibbaren - Steuerschulden geführt haben.
Bei der Frage der Haftung ist zunächst die gerichtlich voll überprüfbare Rechtsfrage zu entscheiden, ob die in Anspruch genommene Person die Tatbestandsvoraussetzung der Haftungsvorschrift erfüllt. Erst anschließend ist die Ermessungsentscheidung zu fällen, wer von mehreren Haftungsschuldnern in Anspruch genommen werden soll, was vorliegend nicht Streitgegenstand war.
Das Finanzgericht bejaht zunächst einen ausreichend abgesonderten Teilbetrieb. Voraussetzung ist, dass die den Betrieb repräsentierende organische Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernder Maßnahmen, die dem Unternehmen dienen und mindestens seine wesentlichen Grundlagen ausmachen, übernommen werden, so dass es der Erwerbende ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann. Es kommt nicht darauf an, dass intern Räume, Buchhaltungen oder Inventar getrennt werden.
Im Urteilsfall konnte die Klägerin den heraus gelösten Teilbetrieb sofort und ohne große Neuinvestition selbständig fortsetzen. Innerhalb von wenigen Monaten wurde der Monatsumsatz mehr als verzwanzigfacht. Dem gegenüber wurde nur unwesentlich Kapital eingesetzt, wie es bei der Erschließung neuer Märkte in bislang noch nicht belieferten ausländischen Absatzgebieten marktüblich ist. Entscheidend war für das Gericht, dass die Geschäftspartner im Absatzgebiet von sich aus darauf drängten, dass der Pharmavertrieb als solcher ihm gegenüber gekennzeichnet werde, da sie die Medikamente nicht von einer Spedition beziehen wollten.
Das Finanzgericht hat jedoch die Haftung auf die Hälfte der Kapitalertrags-Steuerschulden begrenzt. Die Kläger haben unbestritten hierzu vorgetragen, zum Zeitpunkt der Steuerentstehung seien die Umsätze jeweils zur Hälfte auf die Spedition und den Pharmahandel entfallen. Ausdrücklich abgelehnt hat das Finanzgericht die Rechtsansicht des Finanzamtes, dass diese Aufteilung deshalb ausgeschlossen sei, weil nach dem Gesetz einzig und allein eine Haftungsbeschränkung auf den Bestand des übernommenen Vermögens nach § 75 Abs. 1 Satz 2 AO zulässig sei.
Hinweis
Im Sachverhalt ist das Rumpfunternehmen nicht mehr zur Steuerentrichtung fähig gewesen, da es innerhalb von wenigen Jahren insolvent wurde und anschließend liquidiert wurde. Die Hauptwirtschaftskraft lag eindeutig in dem neu eingeführten Wirtschaftsbereich Pharmavertrieb, der auch zu einem Betrag von DM 7,5 Mio in neue Hände überführt wurde.
Das Finanzgericht hat auf über 30 Seiten den Sachverhalt und die Begründung seines Urteils sehr sorgfältig abgearbe...