Wie zuvor erörtert, ist es der Zweck des Handelsregisters, die für den Handelsverkehr notwendige Publizität über eintragungspflichtige Tatsachen herzustellen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es unbedingt notwendig, dass sich der Rechtsverkehr auf die Richtigkeit und Vollständigkeit des Handelsregisters verlassen kann. Dem Handelsregister kommt daher nach § 15 HGB eine Publizitätswirkung zu.
Publizität
Es ist dabei zwischen der negativen Publizität nach § 15 Abs. 1 HGB und der positiven Publizität nach § 15 Abs. 3 HGB zu unterscheiden. Während die negative Publizität das Vertrauen in die Nichtexistenz nicht eingetragener Tatsachen schützt, betrifft die positive Publizität das Vertrauen in die Richtigkeit der vorhandenen Eintragungen.
Positive und negative Publizität
Ist der Widerruf einer Prokura nicht in das Handelsregister eingetragen, kann der Rechtsverkehr darauf i. d. R. vertrauen, dass die Prokura noch besteht (negative Publizität). Ist eine Person (fehlerhaft) als Geschäftsführer eines Unternehmens eingetragen worden, kann der Rechtsverkehr hierauf im Grundsatz vertrauen (positive Publizität).
7.1 Negative Publizität
Die negative Publizität schützt also das Vertrauen in die Nichtexistenz nicht eingetragener Tatsachen. Für das Eingreifen der negativen Publizität ist es dabei ausreichend, dass die Tatsache nicht eingetragen oder nicht bekannt gemacht worden ist. Auf ein Verschulden kommt es dabei nicht an. Der Schutz des § 15 Abs. 1 HGB entfällt nur, wenn der Dritte positive Kenntnis von der entsprechenden Tatsache hatte. Grobe Fahrlässigkeit reicht hingegen nicht. Auch eine Nachforschungspflicht ist nicht gegeben.
Nachforschungspflicht
Hat der Dritte im obigen Beispiel gerüchteweise gehört, dass die Prokura widerrufen worden ist, ist der Widerruf aber nicht in das Handelsregister eingetragen oder bekannt gemacht worden, kann sich der Dritte auf die Prokura berufen.
Den Dritten trifft aber keine Pflicht, sich auf das Handelsregister zu berufen. Er kann auch auf die wahre Rechtslage Bezug nehmen, wenn diese für ihn günstiger ist.
Er muss sich aber entscheiden, ob er sich auf die wahre Rechtslage oder den Rechtsschein des Handelsregisters berufen will. Er kann sich hingegen nicht in ein und demselben Fall sowohl auf die wahre Rechtslage als auch auf den Rechtsschein berufen. Dies wird auch als "Rosinentheorie" bezeichnet. Ein und dieselbe Person kann sich nicht in einem Fall nur die "Rosinen aus dem Kuchen picken" und sich gleichzeitig auf die wahre Rechtslage und den Rechtsschein des Handelsregisters berufen.
Wahre Rechtslage und Rechtsschein
Dies wäre für den Dritten im obigen Beispiel z. B. erstrebenswert, wenn der "falsche" Prokurist im Namen des Unternehmens einen Vertrag mit ihm abschließt. Dann könnte der Dritte, wenn dies zulässig wäre, einerseits das Unternehmen in Anspruch nehmen und andererseits den "falschen" Prokuristen persönlich, da er nach § 179 BGB als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt hat. Dies ist jedoch nicht zulässig.
Ein Geschäftspartner muss sich aussuchen, ob er sich darauf berufen will, dass der Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen ist oder dass er de facto nicht Geschäftsführer ist. Es ist hingegen nicht möglich, sich gleichzeitig auf die wahre Rechtslage und den Rechtsschein zu berufen.
7.2 Positive Publizität
Die positive Publizität schützt das Vertrauen in die Richtigkeit vorhandener Handelsregistereintragungen. Auch bei der positiven Publizität ist kein Verschulden notwendig. Auf die positive Publizität kann sich allerdings nicht derjenige Dritte berufen, der positiv wusste, dass die Handelsregistereintragung falsch ist. Auch hier besteht ein Wahlrecht, aber auch eine Wahlpflicht des Dritten, ob er sich auf die wahre Rechtslage oder den Rechtsschein berufen möchte. Ein "Rosinen picken" ist auch insoweit unzulässig.