Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen durch die Steuerfahndung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ist, dass für den Steuerpflichtigen klar und eindeutig erkennbar ist, in welchen konkreten Steuerangelegenheiten ermittelt wird.
2. Unzureichende oder widersprüchliche Sachverhaltsdarstellungen im angefochtenen Urteil stellen einen materiell-rechtlichen Fehler dar, der auch ohne diesbezügliche Rüge zum Wegfall der Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 FGO führt.
Normenkette
§ 171 Abs. 5 Satz 1, § 171 Abs. 9, § 169 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, § 118 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Der Kläger erklärte als Gesamtsrechtsnachfolger seiner verstorbenen Mutter am 3.5.2010 hinterzogene Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Jahre 1998 bis 2002 nach. Bereits am 6.3.2010 hatte er für sich selbst eine Selbstanzeige abgegeben und Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Jahre 1999 bis 2008 nacherklärt. Mit Schreiben vom 6.12.2010 forderte die Steuerfahndungsstelle den Kläger unter Hinweis auf seine eigene Selbstanzeige und das gegen ihn eingeleitete steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren auf, u.a. überprüfbare Unterlagen über die nacherklärten Einkünfte seiner Mutter vorzulegen. Das FA erließ jeweils am 25.5.2011 gegenüber dem Kläger als Rechtsnachfolger der verstorbenen Mutter nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1998 und 1999. Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos (FG Köln, Urteil vom 22.5.2013, 8 K 3813/11, Haufe-Index 6420238, EFG 2014, 408).
Entscheidung
Der BFH hat der Revision stattgegeben und sowohl die Vorentscheidung als auch die Einkommensteueränderungsbescheide für 1998 und 1999 wegen Ablaufs der Festsetzungsverjährung aufgehoben. Er hat eine Hemmung des Ablaufs der Verjährungsfrist gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO aus den in den Praxis-Hinweisen dargelegten Gründen verneint.
Hinweis
Der BFH hat mit der Besprechungsentscheidung schlampiger Arbeit der Steuerfahndungsstellen bei der Überprüfung von Selbstanzeigen einen Riegel vorgeschoben.
1. Droht nach einer Selbstanzeige die aufgrund der Steuerhinterziehung von vier auf zehn Jahre verlängerte Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) abzulaufen, kann durch die Einschaltung der Steuerfahndung eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO herbeigeführt werden. Dies ist vor dem Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist zwar grundsätzlich zulässig. Jedoch muss der zu erlassende Steuerbescheid erkennbar auf den Ermittlungen der Steuerfahndung beruhen (BFH, Urteil vom 17.11.2015, VIII R 68/13, BFH/NV 2016, 610, BFH/PR 2016, 202).
2. Zudem muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird. Dies hat der BFH im vorliegenden Fall verneint. Der BFH fühlte sich an die insoweit positive Feststellung der Vorinstanz nicht gebunden, da er sie als widersprüchlich und unzureichend ansah. Das FG hatte bei seiner Würdigung außer Betracht gelassen, dass aus den widersprüchlichen Angaben des Schreibens der Steuerfahndung vom 6.12.2010 nicht klar hervorging, dass auch die Nacherklärung der verstorbenen Mutter des Klägers überprüft werden sollte. Da diese Steueransprüche nicht erkennbar Gegenstand der Fahndungsprüfung waren, konnte nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO keine Ablaufhemmung eintreten. Die allein nach § 171 Abs. 9 AO gehemmte Festsetzungsfrist war zum Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteueränderungsbescheides bereits abgelaufen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.11.2015 – VIII R 67/13