Dr. Björn-Axel Dißars, Dr. Ulf-Christian Dißars
Leitsatz
Ist eine Neutralisierung von Patientendaten nicht erfolgt, müssen dem Finanzamt die vollständigen Daten zur Verfügung gestellt werden.
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt eine Klinik. Durch Prüfungsanordnung vom 6.12.2007 teilte das beklagte Finanzamt der Klägerin mit, dass es gemäß § 147 Abs. 6 AO beabsichtige, auf die steuerlich relevanten Daten zuzugreifen. Die Klägerin hatte zu diesem Zeitpunkt keine Trennung zwischen den persönlichen Patientendaten und den sachlichen Behandlungsdaten vorgenommen, gewährte aber den Lesezugriff. Sie weigerte sich aber, diese Daten auf Datenträger zur Verfügung zu stellen. Hierauf ordnete das Finanzamt die Herausgabe der vollständigen Dateien an. Die Klägerin weigerte sich unter Hinweis auf die ärztliche Schweigepflicht. Das Finanzamt machte deutlich, dass es an den persönlichen Patientendaten kein Interesse habe. Eine Neutralisierung müsse aber von der Klägerin vorgenommen werden. Sofern dies nicht geschehen sei, seien die nicht neutralisierten Daten zur Verfügung zu stellen.
Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg. Hierbei legte das Finanzgericht zunächst dar, dass der Bescheid des Finanzamts, mit dem die Herausgabe der kompletten Daten verlangt wurde, nicht nichtig war. Auch die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts wurde durch das Gericht bestätigt. Zwar wird bei der Darlegung beider Rechtsfragen erkannt, dass eine Verpflichtung der Klägerin zur Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht besteht. Auf der anderen Seite hat das Finanzamt unstreitig nach der AO das Recht, auf gespeicherte Daten zuzugreifen bzw. diese sich durch den Steuerpflichtigen zur Verfügung stellen zu lassen. Hierbei obliege es dem Steuerpflichtigen diese Daten so zu neutralisieren, dass die ärztliche Schweigepflicht eingehalten werden könne. Sofern dies durch den Steuerpflichtigen nicht geschehen sei, dürfe die Finanzverwaltung auf sämtliche Daten - auch die persönlichen - zugreifen. Die erhöhten Kosten einer nachträglichen Neutralisierung seien hier unerheblich.
Hinweis
Obwohl das Finanzamt bereits seit einigen Jahren zum digitalen Datenzugriff befugt ist, gibt es immer noch Streitfragen. Hierbei ist eine der bedeutsamsten Fragen, wie zu entscheiden ist, wenn das Recht des Finanzamts mit anderweitigen Rechten kollidiert. Dies wird im Regelfall nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu entscheiden sein. Allerdings obliegt es nach der Rechtsprechung regelmäßig dem Steuerpflichtigen eine Trennung zwischen steuerlich relevanten Daten und nicht relevanten Daten zu ermöglichen . Angesichts dieser Rechtsprechung verwundert das Urteil des FG Baden-Württemberg nicht. Und letztlich ist es wohl auch zutreffend, da ansonsten ein Steuerpflichtiger, der seinen Pflichten nicht nachkommt, besser gestellt wird als ein "rechtstreuer" Steuerpflichtiger. Gleichwohl wird der BFH sich demnächst mit dieser Rechtsfrage zu beschäftigen haben.
Das Verfahren ist rechtskräftig, obwohl die Revision zum BFH wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen wurde. Das Aktenzeichen des BFH in einem ähnlichen Verfahren ist VIII R 44/09.
Link zur Entscheidung
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.11.2011, 4 K 4819/08