Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung des Einfuhrumsatzsteuerbescheides vom 28.03.90
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Art. 177 EWG-Vertrag im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens die nachstehenden Fragen vorgelegt:
1. Stehen die beiden in Art. 244 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Zollkodex) genannten Voraussetzungen
völlig unabhängig nebeneinander, so daß eine Aussetzung der Vollziehung auch dann zu gewähren ist, wenn wegen der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides, hinsichtlich dessen die Aussetzung der Vollziehung begehrt wird, keine Zweifel bestehen, die Möglichkeit des Eintritts eines unersetzbaren Schadens für den Beteiligten aber bejaht wird?
Falls die Frage zu 1) bejaht wird:
2. Schließt das Vorliegen der im zweiten Anstrich genannten Voraussetzung zwangsläufig die Anforderung einer Sicherheitsleistung aus, oder bedarf es dazu weiterer – wenn ja welcher – Voraussetzungen?
3. Stellt der drohende – der eventuell infolge der Fälligkeit der Abgabenforderung schon eingetretene – Verlust des Arbeitsplatzes eine „ernste Schwierigkeit wirtschaftlicher oder sozialer Art” dar, auch wenn infolge der innerstaatlichen Gesetze das Existenzminimum z.B. durch Sozialhilfe gesichert wird?
4. Ist bei Gewährung von Aussetzung der Vollziehung die Sicherheitsleistung immer in Höhe des Abgabenbetrages festzusetzen, oder besteht die Möglichkeit, diese unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Situation des Antragstellers auf einen Teilbetrag zu beschränken?
Tatbestand
I.
Die zuständige Zollbehörde der Bundesrepublik Deutschland erließ unter dem 28. März 1990 gegen den Antragsteller einen Haftungsbescheid, mit dem dieser für eine Einfuhrumsatzsteuerschuld in Höhe von 293.870,76 DM in Anspruch genommen wurde. Das wegen dieses Bescheides anhängige Klageverfahren ist noch nicht erledigt.
Nachdem die Verwaltungsbehörde mit Verfügung vom 16. August 1994 eine Pfändung und Einziehung des Arbeitseinkommens des Antragstellers ausgebracht hatte und der Arbeitgeber dadurch von der hohen Forderung erfahren hatte, kündigte dieser mit Schreiben vom 31. August 1994 das Arbeitsverhältnis und stellte den Antragsteller vom Dienst frei. Der Antragsteller bezieht seither Sozialhilfe.
Mit dem bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 12. Oktober 1994 begehrt der Antragsteller nunmehr die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung dieses Haftungsbescheides.
Nach seiner Auffassung bestehen begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit, wobei er insoweit auf das Klageverfahren und das dortige Vorbringen verweist. Unabhängig davon ist der Antragsteller der Auffassung, daß eine Aussetzung der Vollziehung aber schon deswegen gewährt werden müsse, weil ihm durch die Vollziehung des Haftungsbescheides nicht nur ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte, sondern bereits entstanden sei. Infolge der Geltendmachung dieser Abgabenforderung durch die Gehaltspfändung habe er seinen Arbeitsplatz verloren und sei nunmehr auf Sozialhilfe angewiesen. Sein früherer Arbeitgeber habe ihm versichert, er werde ihn dann wieder einstellen, wenn eine Vollstreckung aus dem angegriffenen Bescheid nicht drohe.
Im übrigen könne von ihm gemäß Art. 244 Abs. 3 Zollkodex eine Sicherheitsleistung aber auch deswegen nicht gefordert werden, weil er aufgrund seiner persönlichen wirtschaftlichen Lage nicht die Möglichkeit habe, eine solche Sicherheit aufzubringen.
Die Verwaltungsbehörde vertritt hingegen die Auffassung, daß hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung keine begründeten Zweifel bestünden. Auch könne dem Antragsteller ein unersetzbarer Schaden deswegen nicht entstehen, weil die bisherigen Ermittlungen im Bereich des Vollstreckungsverfahrens ergeben hätten, daß weitere Zwangsmaßnahmen gegen den Antragsteller derzeit erfolglos wären. Erst nach einer Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit könnten weitere Vollstreckungsmaßnahmen vorgenommen werden, denen dann allerdings infolge der zu beachtenden Unpfändbarkeitsbestimmungen enge Grenzen gesetzt seien. Damit sei sichergestellt, daß auch in einem solchen Falle ein unersetzbarer Schaden für den Antragsteller nicht entstünde.
Entscheidungsgründe
II.
Der Senat bejaht in ständiger Rechtsprechung die Anwendbarkeit des Art. 244 Zollkodex auch für die Abgabenfälle, in denen die Abgabenschuld/Haftungsschuld vor dem 1. Januar 1994 entstanden ist, sofern nur der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach dem 1. Januar 1994 gestellt wurde. Soweit es bei dem durch Haftungsbescheid geltend gemachten Abgaben um Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben im Sinne des Art. 244 Zollkodex geht, gehören auch Haftungsbescheide zum Normbereich des Art. 244 Zollkodex, denn auch der nach innerstaatlichen Bestimmungen als Haftungsschuldner in Anspruch Genommene ist Zollschuldner gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1...