vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [V R 21/24)]
Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungsaustausch bei Schein- und Abdeckrechnungen
Leitsatz (redaktionell)
- Bei der entgeltlichen Erstellung von Schein-bzw. Abdeckrechnungen über tatsächlich nicht erbrachte Bauleistungen eines tatsächlich nicht leistenden (Schein-) Subunternehmers, die allein der buchhalterischen Abdeckung der Barentlohnung von Schwarzarbeitern beim Rechnungskunden dienen (hier: Überweisung des Scheinrechnungsbetrages an den Schein-Subunternehmer und Verbuchung der Rechnung als angeblichen Fremdleistungsbezug beim Rechnungskunden, aber sofortige Abhebung des Rechnungsbetrages durch die Hinterleute des Schein-Subunternehmers und Übergabe des Bargeldes abzüglich Provision an den Rechnungskunden zum Zwecke der Entlohnung seiner Schwarzarbeiter in bar), liegt eine der Mehrwertsteuer grundsätzlich unterliegende einheitliche sonstige Leistung i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG vor, welche im Wege der durch die Hinterleute des Schein-Subunternehmers verlangte und auf das bestellte Rechnungsvolumen aufgeschlagene Provision als umsatzsteuerpflichtiges Entgelt vom Rechnungskunden bezahlt wird (gegen BGH vom 12.01.2022 - 1 StR 436/21, wistra 2022, 299).
- Die Leistung erschöpft sich in diesem Fall nicht im bloßen „Handel mit Schein-bzw. Abdeckrechnungen“ bzw. der bloßen Beteiligung an einer (Lohn-) Steuerhinterziehung des Rechnungskunden, sondern beinhaltet ein mehrteiliges, umsatzsteuerrechtlich als einheitliche Leistung eigener Art zu bewertendes Leistungspaket, bei dem die Vereinnahmung, Abhebung und Rückführung des bestellten Abdeckvolumens an den Rechnungskunden durch die Hinterleute des hierbei formal eingeschalteten Schein-Subunternehmers aus Sicht des Kunden der (Organisation der) Rechnungsausstellung mindestens gleichwertig ist und deshalb nicht als unselbständige Nebenleistung zu den nur auf die Erstellung und Übermittlung der Scheinrechnung abzielenden Verrichtungen beurteilt werden kann.
- Dies gilt jedenfalls dann, wenn die für die jeweilige (Schein-) Subunternehmer-GmbH verantwortliche Tätergruppe mit ihrem Leistungsangebot gegenüber verschiedenen (Rechnungs-) Kunden nachhaltig am Markt in Erscheinung tritt (im Streitfall z.B. durch sukzessive Einschaltung jeweils unterschiedlicher Schein-Subunternehmer-GmbHs über mehrere Jahre und durch Einsatz von Vermittlern zur Gewinnung von Neukunden per Mundpropaganda). In diesem Fall sind die durch die Provision vergüteten Leistungen umsatzsteuerrechtlich auch nicht dem formal auftretenden Rechnungsaussteller (d.h. der jeweils eingesetzten Schein-Subunternehmer-GmbH), sondern den diesen i.S.v. § 35 AO steuernden Hinterleuten bzw. ihrem Prinzipal als nach außen auftretendem Leistungserbringer zuzuordnen.
Normenkette
UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1
Streitjahr(e)
2009, 2010, 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2017
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die umsatzsteuerliche Behandlung von Provisionszahlungen für die am Markt angebotene Erstellung von Scheinrechnungen zur Abdeckung von Schwarzlohnzahlungen nebst hiermit verbundenen Geldtransfer- und teilweise erbrachten weiteren (Sonder-) Dienstleistungen.
Im Zuge von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft A kam die Steuerfahndungsstelle beim damaligen Finanzamt B (im Folgenden: die ,Steuerfahndung') zu dem Ergebnis, dass von 2009 bis 2017 durch verschiedene Gesellschaften (im Folgenden: die ,Servicefirmen') in größerem Umfang Schein- bzw. Abdeckrechnungen über angeblich erbrachte Lieferungen und Leistungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG erstellt und verkauft worden seien, um den Rechnungsempfängern aus dem Bereich der Baubranche die buchhalterische Darstellung der Verausgabung von Mitteln zu ermöglichen, die in Wahrheit für die Entlohnung von Schwarzarbeitern unter Umgehung der steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Anmelde- und Abführungspflichten bestimmt waren. Die in den Rechnungen aufgeführten (Bau-) Leistungen seien von den Servicefirmen an die Rechnungsempfänger tatsächlich niemals erbracht worden. Die Kunden und Rechnungsempfänger hätten für die Erstellung der Schein- bzw. Abdeckrechnungen jeweils eine Provision gezahlt, welche durch Erhöhung des Nettobetrages der Schein- bzw. Abdeckrechnungen dargestellt worden sei. Der gesamte Rechnungsbetrag sei jeweils durch eine Überweisung an die Servicefirma bezahlt und der Geschäftsvorfall in der Buchhaltung des Kunden als angeblicher Subunternehmerauftrag dargestellt worden. Tatsächlich sei den Kunden das Rechnungsvolumen abzüglich der Provision jedoch umgehend in bar zurückgezahlt worden, um mit dem Bargeld die eigenen Schwarzarbeitskräfte entlohnen zu können. Als zusätzlicher „Service“ sei die Anmeldung von (Schwarz-) Arbeitern des Kunden als angebliche legale Beschäftigte der jeweiligen Servicefirma mit (geringfügigen) fiktiven Löhnen bei den entsprechenden öffentlichen Stellen und die Abwicklung des diesbezüglichen Zahlungsverkeh...