Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung zwischen Arbeitsmarkt- und aus Gründen der Behinderung bedingtem außer Stande sein zum Selbstunterhalt
Leitsatz (redaktionell)
- Die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt kann grundsätzlich angenommen werden, wenn im Behindertenausweis oder im Feststellungsbescheid das Merkmal „H” (hilflos) eingetragen ist oder der Grad der Behinderung 50% oder mehr beträgt und besondere Umstände hinzutreten aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint.
- Ist das Kind trotz seiner Behinderung aufgrund höherer Einkünfte und Bezüge in der Lage selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, liegt keine Behinderung vor, die zur Kindergeldzahlung berechtigt.
- Weder der Umstand, dass das Kind eine Berufsausbildung abgeschlossen hat noch die Tatsache, dass sie Leistungen nach dem SGB II bezieht und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, reichen aus, um darauf schließen zu können, dass außer Stande sein zum Selbstunterhalt auf der Behinderung und nicht auf der ungünstigen Situation am allgemeinen Arbeitsmarkt beruht.
- Ist es der Arbeitsvermittlung in den letzten drei Jahren weder gelungen, einem qualifizierten und mobilen Arbeitnehmer ein adäquates Stellenangebot gegebenenfalls auch unterhalb ihrer Qualifikation anzubieten, kann das Gericht aufgrund tatsächlicher Vermutung davon ausgehen, dass die vorliegende erhebliche Behinderung ursächlich für die Arbeitslosigkeit ist und damit einhergehend zum außer Stande sein zum Selbstunterhalt führt.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 Nr. 3, § 63 Abs. 1
Streitjahr(e)
2006
Tatbestand
Mit Kindergeldantrag vom 04.04.2006 beantragte der Kläger Kindergeld für sein am 24.12.1979 geborenes Kind … Zur Begründung wurde angegeben, dass das Kind zu 100% behindert, blind, hilflos und arbeitslos sei. Dem Antrag lag ein Schwerbehindertenausweis vom 16.02.2004 mit dem Merkzeichen G, BI, H, RF bei.
Mit Bescheid der Beklagten vom 29.05.2006 wurde der Antrag des Klägers abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld für ein Kind, dass das 18. Lebensjahr vollendet habe, im Streitfall nicht vorlägen.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 31.05.2006 Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung der Beklagten vom 06.12.2006 als unbegründet zurückgewiesen worden ist. Zur Begründung wurde ausgeführt, für die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld nicht gegeben seien. Zwar sei das Kind des Klägers zu 100% schwerbehindert, jedoch halte es sich nach den Angaben der Arbeitsförderung O-Kreis selber für arbeitsfähig. Aus diesem Grunde seien der Tochter des Klägers auch entsprechende Umzugskosten nach B. erstattet worden, da diese der Ansicht gewesen sei, in B. eher Arbeit zu finden. Aufgrund der Einschätzung der Erwerbsfähigkeit des Kindes habe dieses auch im Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung Leistungen nach dem SGB II erhalten, welche nur jemand erhalte, der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünde.
Hiergegen erhob der Kläger mit am 22.12.2006 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seines Bevollmächtigten Klage. Er ist der Ansicht, dass ihm Kindergeld zustehe, weil das Kind …. aufgrund ihrer Schwerbehinderung nicht in der Lage sei, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Entgegen der Ansicht der Beklagten komme es nicht darauf an, ob das Kind sich subjektiv als arbeitsfähig einschätze, sondern vielmehr darauf, ob infolge der Behinderung objektiv eine Leistungsunfähigkeit bestehe, sich selber zu unterhalten. Das sei vorliegend der Fall. Würde man sich hier der Rechtsauffassung der Beklagten anschließen, müsse man von jedem behinderten Kind verlangen, dass es sich aufgebe und es tunlichst unterlasse, sich um einen Arbeitsplatz zu bemühen. Auch sei die Arbeitslosigkeit der Tochter des Klägers nicht durch die vermeintlich angespannte Arbeitsmarktsituation bedingt. Derzeit sei ein Aufschwung am Arbeitsmarkt zu verzeichnen, so dass schlechterdings die Behauptung der Beklagten, die Arbeitslosigkeit sei saisonal bedingt, widerlegt sei. Soweit durch die Beklagte ein vormals bestehendes Arbeitsverhältnis erwähnt werde, sei zu berücksichtigen, dass dieses Arbeitsverhältnis niemals angetreten worden sei. Bevor die Tochter des Klägers den Arbeitsplatz habe antreten können, sei der vermeintliche Arbeitgeber verschwunden gewesen. Es habe sich nach dem Kenntnisstand des Klägers um ein offenbar betrügerisches Unternehmen gehandelt, welches die Absicht gehabt habe, lediglich öffentliche Fördermittel für die Einstellung behinderter Mitarbeiter, beziehungsweise Zuschüsse zu Eingliederungsmaßnahmen, zu vereinnahmen. Schließlich belege auch die Tatsache, dass die Tochter des Klägers sich umfangreich um einen Arbeitsplatz bemüht habe, sie aber weder zu Vorstellungsgesprächen noch zu sonstigen auf den Abschluss eines Arbeitsvertrages hindeutenden Maßnahmen geladen worden sei, dass im Ergebnis die Tochter des Klägers dem Arb...