Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzögerungsgeld wegen der unbewilligten Verlagerung der elektronischen Buchführung ins Ausland
Leitsatz (redaktionell)
- Bei der Ermessensausübung zur Festsetzung eines Verzögerungsgeldes nach § 146 Abs. 2b AO ist zu berücksichtigen ob und gegebenenfalls in welchem Umfang es durch die unbewilligte Verlagerung der elektronischen Buchführung ins Ausland bereits zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung der Prüfung-und Beanstandungstätigkeit des Finanzamtes im Rahmen einer Außenprüfung gekommen war bzw. vermutlich kommen wird und ob insoweit ein reelles Steuerausfallrisiko bestand bzw. besteht.
- Bei der Bewertung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens als Kriterium für die Höhe des Verzögerungsgeldes sind die Umsatzerlöse als alleiniger Indikator ungeeignet.
- Die Heranziehung des Mindestsatzes nach § 162 Abs. 4 S. 3 AO als Richtwert für die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes nach § 146 Abs. 2b AO. verstößt wegen der grundsätzlichen Andersartigkeit der Ziele der Vorschriften gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und stellt einen Ermessensfehler dar.
Normenkette
AO § 146 Abs. 2b
Streitjahr(e)
2012
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes im Zusammenhang mit der Verlagerung der elektronischen Buchführung nach Österreich. Die Klägerin ist eine durch Gesellschaftsvertrag vom 26.07.1993 gegründete und mit Sitz und Geschäftsanschrift in Stadt 1im dortigen Handelsregister unter HRB eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren eingetragener Unternehmensgegenstand der Import und Export, der Handel für den Bereich XY ist. Mit Schreiben vom 24.11.2011 beantragte die Klägerin bei dem für ihre Veranlagung und Außenprüfung zuständigen Beklagten (dem Finanzamt, im Folgenden: ,FA'), nach § 164 Abs. 2a AO die Zustimmung zur Verlagerung ihrer datenverarbeitungsgestützten Buchführung in das Ausland zu erteilen. Die elektronische Buchführung werde von der Konzerngesellschaft A in Österreich geführt. Auf die Rückfragen des FA zur genauen Organisation der Buchführung meldete sich sodann die österreichische Muttergesellschaft der Klägerin mit einem Schreiben vom 31.01.2012 beim FA. Aus diesem Schreiben (Bl ) ergab sich, dass sich die physischen (Papier-) Ordner betreffend die Buchhaltung der Klägerin ab dem Wirtschaftsjahr 2009 bereits seit 2010 in einem Archiv in Österreich befanden und auch die Belegverarbeitung nebst elektronischer Weiterverarbeitung bereits sei Mai 2010 in Österreich erfolgte. Durch Bescheid vom 08.02.2012 stimmte das FA daraufhin der Verlagerung der elektronischen Buchführung der Klägerin nach Österreich ohne weitere Rückfragen mit Widerrufsvorbehalt und unter Auflagen zu. Gleichzeitig forderte das FA die Klägerin unter Fristsetzung bis zum 11.06.2012 jedoch auf, die physische Buchführung (Papierbuchführung) nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO wieder zurück in das Inland zu verbringen. Ferner teilte es der Klägerin mit, dass es beabsichtige, wegen der bereits im Mai 2010 ohne Bewilligung des FA vollzogenen Verlagerung der elektronischen Buchführung in das Ausland nach § 164 Abs. 2b AO ein Verzögerungsgeld in Höhe von 4.800,- Euro festzusetzen.
Nach weiterem Schriftverkehr setzte das FA mit Bescheid vom 24.05.2012 ein Verzögerungsgeld von 14.400,- Euro wegen der unbewilligten Verlagerung der elektronischen Buchführung fest (Bl. ). Die Entschließung zur Festsetzung des Verzögerungsgeldes begründete es im Bescheid mit deren Ahndungsfunktion, der Abschöpfung der durch die unberechtigte Verlagerung gezogenen Vorteile (hier: durch die „Verlagerung und Zentralisierung im Ausland”), der Dauer der
unberechtigten Verlagerung (hier: Verlagerung bereits im Mai 2010 unter Berücksichtigung der zu unterstellenden Kenntnis des Bewilligungserfordernisses durch die Klägerin), dem „Charakter des Verzögerungsgeldes” und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin (Seite 4 f. des Bescheides vom ). Es sei – so das FA wörtlich – sachgerecht, „das Rechtsgut der effektiven Steuerkontrolle und damit der Durchsetzung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung durch die Steuerverwaltung, nämlich den zeitnahen und zügigen Zugriff der Finanzbehörde auf die elektronische Buchführung im Rahmen von Prüfungsmaßnahmen zu schützen”. Nach Darlegung der seiner Ansicht nach hierfür einschlägigen Kriterien (namentlich die Dauer der nicht bewilligten Verlagerung, die Betriebs- und Unternehmensgröße, die gezogenen Vorteile, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sowie das mögliche Steuerausfallrisiko) leitete das FA die Höhe der Festsetzung „in Anwendung der vorgenannten Grundsätze” aus einer um 18 Monate verspäteten Antragstellung multipliziert mit einem „Richtsatz” von 800,- Euro pro Monat (Seite 5 f. des Bescheides ) ab. Die Dauer der unbewilligten Verlagerung sei nicht unerheblich. Ferner seien auch die wirtschaftlichen Vorteile abzuschöpfen, die aus der „Verminderung insbesondere des Personal- und Verwaltungsaufwands generiert” worden seie...