vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [I R 1/20)]
Entscheidungsstichwort (Thema)
Vereinbarkeit der Steuerfreiheit nach § 11 InvStG mit der europarechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit
Leitsatz (redaktionell)
- Die unterschiedliche Behandlung ausländischer und inländischer Investmentfonds durch die Steuerfreistellung nur inländischer Investmentfonds nach § 11 Abs. 1 InvStG ist nicht europarechtswidrig.
- Ein europarechtswidriger Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit scheidet aus, weil die vordergründige Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Investmentfonds bei einer Gesamtbetrachtung dazu führt, dass die Regelung jedenfalls durch Kohärenz und auch wegen der Notwendigkeit zur Wahrung der ausgeglichenen Aufteilung der Steuerbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten gerechtfertigt ist.
- Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Besteuerung des Investmentfonds und des Anteilseigners; durch die Besteuerung auf der Ebene des Anteilseigners (Transparenzprinzip) wird die Nichtbesteuerung des inländischen Investmentfonds ausgeglichen.
- Eine Ungleichbehandlung bei der Steueranrechnung ist entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsprinzip vorrangig durch eine europarechtskonforme Auslegung, hier des § 4 Abs. 2 InvStG auszugleichen.
Normenkette
InvStG § 11 Abs. 1, § 4 Abs. 2, § 7 Abs. 1; AEUV Art. 63
Streitjahr(e)
2009, 2010, 2011, 2012, 2013
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob § 11 InvStG in der in den Streitjahren gültigen Fassung mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar ist und ob bejahendenfalls dem Kläger als ausländischem Investmentfonds ein auf das Europarecht gestützter (Kapitalertragsteuer-)Erstattungsanspruch samt Verzinsung zusteht und wie die gegebenenfalls zu berücksichtigende Verzinsung zu berechnen ist.
Der Kläger ist ein in Frankreich ansässiger Fonds Commun de Placement (FCP). Übereinstimmend gehen die Beteiligten davon aus, dass es sich um Zweckvermögen im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG handeln würde, wenn der Kläger im Inland ansässig wäre. Er hielt Aktien deutscher Unternehmen und bezog in den Streitjahren 2009 bis 2013 Ausschüttungen inländischer Kapitalgesellschaften, auf die zunächst Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag i.H.v. 26,375 % einbehalten wurde.
Die auf Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 25b Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen in der Fassung vom 21. Juli 1959 (DBA-Frankreich) gestützte Ermäßigung der Kapitalertragsteuer auf 15 % und die daraus resultierende DBA-Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer i.H.v. 11,375 % wurde von der Depotbank des Klägers, der B, nach Maßgabe des § 50d Abs. 1 S. 6 und 7 EStG gegenüber dem BZSt vorgenommen.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 2014 beantragte der Kläger, ihm die verbleibende 15-prozentige Kapitalertragsteuer für die Jahre 2009 bis 2013 zuzüglich Zinsen zu erstatten. Zur Begründung stützte er sich im Wesentlichen darauf, dass er im Falle der Inlandsansässigkeit mit einer nach § 11 Abs. 1 InvStG von der Körperschaftsteuer befreiten Investmentaktiengesellschaft typengleich sei, die deutsche Kapitalertragsteuerbelastung mangels Besteuerung des Klägers in Frankreich nicht durch eine abkommensbasierte Anrechnungsanordnung neutralisiert werde und es für die Nichterstattung der Kapitalertragsteuer auch keine unionsrechtlich anerkannte Rechtfertigung gebe und dass er deshalb einen aus
der Kapitalverkehrsfreiheit abgeleiteten Anspruch darauf habe, steuerlich wie eine inländische Investmentaktiengesellschaft nach § 11 InvStG behandelt zu werden.
Ausdrücklich erklärte der Kläger im Rahmen der Antragstellung, dass er im Zeitpunkt des Zufließens der Kapitalerträge seinen Sitz in der Französischen Republik und keinen Sitz und keine Geschäftsleitung in der Bundesrepublik Deutschland gehabt habe, die Erträge nicht im Rahmen einer im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Betriebsstätte oder festen Einrichtung zugeflossen seien und dass das Kapitalvermögen im Zeitpunkt des Zufließens dem Kläger gehört habe und ihm die Kapitalerträge in diesem Zeitpunkt zugestanden hätten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Antrag vom 11. Dezember 2014 Bezug genommen.
Der Antrag wurde wegen der Unsicherheiten bei der Beurteilung der Verwaltungszuständigkeiten jeweils bei den Finanzämtern der ausschüttenden Körperschaften, die die Kapitalertragsteuer vereinnahmt hatten, in Höhe der jeweils vereinnahmten Kapitalertragsteuer sowie beim BZSt im Hinblick auf den Gesamtbetrag von x € angebracht. Außerdem wurden bei dem Finanzamt C als dem für den Zentralverwahrer zuständigen Finanzamt sowie den (Vermögensschwerpunkt-)Finanzämtern, in deren Bezirk sich im jeweiligen Jahr die wertvollsten Beteiligungen des Klägers befanden, für die Jahre von 2008 bis 2013 Anträge auf Erstattung ...