Entscheidungsstichwort (Thema)
Selbstbestimmungsrecht des Pflegebedürftigen. freie Auswahl der Pflegeperson. Erhebliche Pflegebedürftigkeit. Pflegegeld. Sicherstellung der Pflege. Ehrenamtlich
Leitsatz (amtlich)
1. Nach dem Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts des Pflegebedürftigen kann er zur Sicherstellung seiner Pflege ehrenamtliche Pflegepersonen wie Angehörige, Freunde oder Nachbarn in Anspruch nehmen.
2. Der Pflegebedürftige kann zwischen der Inanspruchnahme von ehrenamtlichen Pflegepersonen und professionellen Pflegediensten frei wählen, solange die Pflege in geeigneter Weise sichergestellt ist.
3. Ehrenamtliche Pflegepersonen müssen nicht die Kriterien des § 19 SGB 11 erfüllen. Die Pflege ist auch dann iS von § 37 Abs 1 S 2 SGB 11 sichergestellt, wenn bei der Grundpflege oder der hauswirtschaftlichen Versorgung durch ehrenamtliche Pflegepersonen im Vergleich zu den Qualitätsanforderungen bei einer professionellen Pflege zwar gewisse Mängel festzustellen sind, jedoch weder der Eintritt von Gesundheitsschäden noch eine Verwahrlosung des Pflegebedürftigen zu befürchten ist.
Normenkette
SGB XI §§ 2, 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, §§ 19, 37 Abs. 1 S. 2; SGB V § 57
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 6. Juli 2005 und der Bescheid vom 2. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2004 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 2. Januar 2004 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu zahlen.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I.
Der Kläger, geboren im Jahr 1947, ist bei der Beklagten pflegeversichert. Am 2. Januar 2004 ging bei der Beklagten der Antrag des Klägers auf Zahlung eines Pflegegeldes ein. Dazu legte der Kläger ein Attest von Dr. G. M. vom 16. Oktober 2001 vor, in dem folgende Diagnosen aufgeführt wurden:
Unklare Fußschmerzen seit 1998,
Zustand nach TEP des linken Hüftgelenks 1999,
Zustand nach Oberschenkelthrombose li. Bein,
postthrombotisches Syndrom,
chronische Schmerzerkrankung (Stadium III nach Gerbershagen),
neuropathische Schmerzen.
Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung des Klägers im häuslichen Bereich durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK), welche von der Pflegekraft Frau Helene K. am 4. Februar 2004 durchgeführt wurde. In ihrem Gutachten vom 17. Februar 2004 kommt Frau K. zu dem Ergebnis, aufgrund einer Hüft-Operation (Hüft-TEP 1999) habe sich eine Thrombose der linken Leistenvene entwickelt, seitdem trage der Kläger Kompressionsverbände, er sei Marcumar pflichtig, habe chronische Schmerzen im linken Bein, es bestehe eine Gehbehinderung sowie eine Fußheber-und Fußsenkschwäche mit Sturzneigung. An den oberen Extremitäten seien keine Einschränkungen festzustellen. Der Kläger benötige Teil-Hilfe beim Waschen und Kleiden des Unterkörpers und Hilfe bei den hauswirtschaftlichen Tätigkeiten. Der Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege betrage 29 Minuten täglich (Körperpflege 13 Minuten und Mobilität 16 Minuten). Für den Bereich der Hauswirtschaft benötige der Kläger eine Hilfe von 60 Minuten täglich. Die Grundpflege und die Hilfe im hauswirtschaftlichen Bereich übernehme teilweise ein Bekannter (Herr W. Z.), der Frührentner sei. Die Pflege sei in geeigneter Weise sichergestellt.
Die Beklagte wies den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 2. März 2004 unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK ab. Dieses habe einen Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege (Körperpflege/Ernährung/Mobilität) von nicht mehr als 45 Minuten täglich ergeben.
Der Widerspruch des Klägers ging bei der Beklagten am 1. April 2004 ohne Begründung ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Am 12. August 2004 hat der Kläger dagegen Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben. Dazu hat er vorgetragen, bislang seien bei ihm ein Grad der Behinderung von 60 und die Voraussetzungen der Merkzeichen B und G festgestellt worden. Einen Verschlimmerungsantrag habe er gestellt, da sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe. Da er allein lebe benötige er Hilfe bei außerhäusigen Besorgungen, dem Waschen der unteren und oberen Gliedmaßen, der täglichen Pflege seines linken Beins, der täglichen Körperpflege, der Fußpflege, der Zubereitung von warmen Mahlzeiten, dem in Ordnung halten der Wohnung.
Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 6. Juli 2005 die Klage abgewiesen und seine Entscheidung auf das Gutachten des MDK (Frau K.) gestützt. Dazu hat es ausgeführt, weder dieses Gutachten noch das Vorbringen des Klägers ergebe einen Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten täglich für den Bereich der Grundpflege.
Gegen den am 8. Juli 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 27. Juli 2005 Berufung eingelegt.
Der Senat hat ein Gutachten von Amts wegen bei Frau G. C. (Diplom-...