Historisch sind die deutschen Regelungen des Substanztestes in ihrem Kern auf die Cadbury Schweppes Doktrin des EuGH[17] zurückzuführen. Der EuGH entschied vorliegend zu den Regelungen des britischen CFC-Regimes[18] vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit.[19]

Der EuGH[20] urteilte, dass die britischen CFC-Regelungen im Kontext einer Steuerumgehung durch den Einsatz künstlicher Konstruktionen grundsätzlich gerechtfertigt sein könnten.[21]Beachten Sie: Allerdings sei dann eine Grenze der Typisierung erreicht, wenn sich der Motivtest in der Frage erschöpft, ob die Gestaltung subjektiv steuerlich motiviert war.[22] Vielmehr sei auch auf objektive Motive abzustellen.[23]

Diese objektiven Gründe lassen sich nach Auffassung des EuGH[24] begründen

  • mit einer tatsächlichen Ansiedlung,
  • deren Zweck darin besteht, wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten[25] im Aufnahmemitgliedstaat nachzugehen.

Dazu sind Geschäftsräume, Personal und Ausrüstungsgegenstände ausschlaggebend.[26]Umgekehrt bedeutet das, dass nur eine fiktive Ansiedlung, die keine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats entfaltet, als eine rein künstliche Gestaltung anzusehen sein wird.[27] Beispielhaft nennt der EuGH[28] Briefkasten- oder Strohfirmen.

Finanzverwaltung reagiert mit Anwendungserlass: Die Finanzverwaltung reagierte auf die EuGH-Rechtsprechung mit einem Anwendungserlass.[29] Zunächst stellte die Finanzverwaltung klar, dass – losgelöst von der Entscheidung des EuGH[30] – die Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung weiterhin anwendbar seien.[31] Das BMF sah insoweit ebenfalls die Erforderlichkeit einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit[32], wie sie auch bereits vom EuGH erarbeitet wurde.[33] Dazu definierte die Finanzverwaltung[34]diverse Kriterien, die für den korrespondierenden Nachweis erforderlich seien: So etwa

  • eine aktive, ständige und nachhaltige Teilnahme am Marktgeschehen,
  • eine angemessene Kapitalausstattung,
  • die Beschäftigung von eigenverantwortlichem und geschäftsleitenden qualifiziertem Personal und
  • die Erzielung von Einkünften aufgrund ursächlicher und eigener Aktivitäten.

BMF versucht engeren Anwendungsbereich zu definieren als EuGH: Betrachtet man die Anforderungen des EuGH im Kontext der Cadbury Schweppes Doktrin[35], so wird deutlich, dass die deutsche Finanzverwaltung hier einen engeren Anwendungsbereich zu definieren versucht.[36] Dies ergibt sich zudem daraus, dass Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter von der Regelung ausgenommen waren – eine Exkulpation über den Motivtest war mithin insoweit nicht denkbar.[37]

Aufnahme des § 8 Abs. 2 AStG mit JStG 2008: Schließlich wurde – infolge der EuGH-Rechtsprechung zu Cadbury Schweppes[38]§ 8 Abs. 2 AStG mit dem JStG[39] 2008 in das deutsche AStG aufgenommen. Nach der initialen Gesetzesfassung war der Motivtest ebenso zunächst nicht für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter anwendbar; dieser wurde erst fünf Jahre später durch das AmtshilfeRLUmsG[40] auch auf solche Einkünfte ausgedehnt.[41]

§ 8 Abs. 2 AStG = "tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit": § 8 Abs. 2 AStG führte den Begriff der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit ein, der insoweit von den Vorgaben des EuGH[42] terminologisch abweicht. Eine gesetzliche Definition dieser tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit lässt sich im AStG nicht finden[43] – vielmehr ist wohl auf die Gesetzesbegründung[44] zurückzugreifen. Nach der Gesetzesbegründung ist eine solche Tätigkeit wohl gegeben, wenn

  • eine Teilnahme in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben erfolgt,
  • dafür objektive und nachprüfbare Anhaltspunkte in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen vorliegen,
  • eine Eingliederung in den Aufnahmemitgliedstaat mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit erfolgt sowie
  • eine tatsächliche Ansiedlung und Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit gegeben ist.[45]

Als Negativabgrenzung führt die Gesetzesbegründung[46] an, dass die gelegentliche Kapitalanlage, die Verwaltung von Beteiligungen ohne gleichzeitige Ausübung geschäftsleitender Funktionen oder etwa das Outsourcing von Kernfunktionen[47] keinen Nachweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit rechtfertigt.

Fazit: Auch wenn die vorstehend beschriebenen Tatbestände terminologisch nicht deckungsgleich mit den Anforderungen des EuGH[48] sind, kommt die Gesetzesbegründung[49] zu dem Ergebnis, dass der Substanztest nach den Grundsätzen der Cadbury Schweppes-Rechtsprechung[50] auszulegen sei.[51] Ferner könne für eine Interpretation aber auch auf die Grundsätze des BMF-Schreibens vom 8.1.2007[52] zurückgegriffen werden.[53]

Es zeigt sich, dass die Begrifflichkeiten nicht übereinstimmend verwendet werden – ein Unterschied soll sich dennoch nicht einstellen.[54] Schließlich gilt es jedoch hervorzuheben, dass – bei aller Unterschiedlichkeit der objektiven Anhaltspunkte – i.R.d. Niederlassungsfreiheit lediglich ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Realität erforderlich w...

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