Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
1. § 66 Abs. 1 EStG in der für das Kalenderjahr 1996 gültigen Fassung, wonach das Kindergeld für das erste und zweite Kind jeweils 200 DM beträgt, ist verfassungsgemäß. Dies gilt unabhängig davon, ob der Kinderfreibetrag gem. § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 EStG den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kinder genügt.
2. Der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verpflichtet den Gesetzgeber nicht, Eltern unabhängig von ihrer Bedürftigkeit für jedes Kind staatliche Hilfen in gleicher Höhe zu gewähren.
Normenkette
§ 66 Abs. 1 EStG , § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 EStG , § 31 EStG , Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG , Art. 20 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Der Kläger war Vater zweier Kinder. Er begehrte mit seiner Klage ab 1.1.1996 ein monatliches Kindergeld von 289,65 DM und führte zur Begründung an, der zur Sicherung des Existenzminimums verfassungsrechtlich gebotene Kinderfreibetrag betrage 9 072 DM.
Es bestehe auch eine offenkundig grundgesetzwidrige Ungleichbehandlung deshalb, weil vom Staat für leibliche Kinder besserverdienender Eltern wesentlich geringere Beträge in Form von Kindergeld und Kinderfreibetrag zur Verfügung gestellt würden als dies für Kinder von Sozialhilfeempfängern bzw. für Pflege- oder Heimkinder der Fall sei.
Entscheidung
FG (EFG 1998, 1016) und BFH stimmten dem nicht zu. Die Verfassungswidrigkeit der Höhe des Kindergeldes könne unter dem Gesichtspunkt eines höheren Existenzminimums erst bei der Veranlagung zur Einkommensteuer geltend gemacht werden.
Art. 3 GG verpflichte den Gesetzgeber auch nicht, allen Eltern Kindergeld wie Sozialhilfe- und anderen Sozialleistungsempfängern zu gewähren. Soweit für Kinder über das Existenzminimum hinaus ein Erziehungs- und Betreuungsbedarf zu berücksichtigen sei, habe das BVerfG ausdrücklich erklärt, dass der Gesetzgeber dem erst mit Wirkung für die Zukunft (ab 1.1.2002) Rechnung tragen müsse. Soweit dies bei Sozialhilfeempfängern bereits berücksichtigt sei, rechtfertigten das unterschiedliche Maß der Bedürftigkeit der Familien auch den Unterschied in der Höhe der staatlichen Leistung.
Hinweis
Die Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Kindergeldes bzw. des Kinderfreibetrags hat sich inzwischen zu einem Problem entwickelt, das von Jahr zu Jahr fortgeschrieben wird und für das von den Steuerpflichtigen in jedem Jahr eine neue verfassungsrechtliche Überprüfung eingefordert wird. Es ist hier aber zunächst eine verfahrensrechtliche Hürde zu nehmen. Der Steuerpflichtige steht vor der Frage, ob er die Überprüfung im Kindergeld-Festsetzungsverfahren oder im Einkommensteuer-Veranlagungsverfahren fordern soll. Die Antwort hängt davon ab, welches Ziel er verfolgt:
Will er erreichen, dass ihm Kindergeld in Höhe des Existenzminimums für seine Kinder gewährt wird, weil er meint, das in § 66 EStG gesetzlich festgelegte Kindergeld reiche dafür nicht aus, so ist das Kindergeld-Festsetzungsverfahren nicht der richtige Weg. Das Kindergeld ist eine Sozialleistung, für deren Gewährung dem Gesetzgeber ein verhältnismäßig weiter Gestaltungsspielraum zusteht; er muss sich dabei nicht am Existenzminimum des Kindes orientieren.
Das ist beim Kinderfreibetrag anders. Nach der Rechtsprechung des BVerfG, von der das Kindergeldrecht seit 1996 ausgeht, muss der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen mindestens einen steuerrechtlichen Kinderfreibetrag in Höhe des Existenzminimums belassen; das Kindergeld ist hier lediglich eine Art Abschlagszahlung auf die später im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung obligatorisch vorzunehmende, steuerrechtliche Freistellung des Existenzminimums.
Soweit also das Kindergeld nach Ansicht des Steuerpflichtigen das Existenzminimum nicht erreicht, muss er seinen Anspruch im Einkommensteuer-Veranlagungsverfahren geltend machen. Das ist die verfahrensrechtliche Folge der eigenartigen Verquickung von Leistungsverwaltung und Steuerrecht.
Das ist anders, wenn der Kindergeldberechtigte meint, ihm müsse ein höheres Kindergeld gezahlt werden, weil andere Kindergeldberechtigte (z.B. Sozialhilfeempfänger) ein höheres Kindergeld erhielten. Den nach seiner Ansicht darin liegenden Verstoß gegen den Gleichheitssatz kann er im Rahmen des Kindergeld-Festsetzungsverfahrens geltend machen; denn hier argumentiert er mit seinem Sozialleistungsanspruch im Rahmen der Leistungsverwaltung.
Allerdings muss er dabei beachten, dass das Kindergeld als Sozialleistung der Förderung der Familie dient, soweit es zur Sicherung des Existenzminimums des Kindes nicht erforderlich ist (§ 31 Satz 2 EStG). Soweit das Kindergeld der Förderung der Familie dient und das Existenzminimum des Kindes überschreitet, kann der Gesetzgeber die Höhe des Kindergeldes nach sachlichen Gesichtspunkten differenzieren. Also z.B. auch nach den Verhältnissen einer Familie mit eigenem Einkommen und einer von der Sozialhilfe lebenden und damit bedürftigeren Familie.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 26.2.2002, VIII R 92/98