Dr. Andreas Nagel, Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Auch nach Einführung des Halb- bzw. des Teileinkünfteverfahrens sollte sich an der bisherigen steuerlichen Behandlung der Rückgewähr von Einlagen gegenüber der Handhabung im Anrechnungsverfahren nichts ändern. So sollte auch weiterhin eine Einlagenrückgewähr im Grundsatz nicht zu steuerpflichtigen Beteiligungserträgen bei dem Anteilseigner führen. Um dies zu gewährleisten, sind die nicht in das Nennkapital geleisteten (offenen und verdeckten) Einlagen auf einem besonderen Konto, dem steuerlichen Einlagekonto nach § 27 KStG zu erfassen und bei Rückgewähr entsprechend zu bescheinigen, damit die Ausschüttung bei dem Anteilseigner insoweit nicht dem Halb-/Teileinkünfteverfahren unterliegt (vgl. BT-Drs. 14/2683, S. 125).
Ein Anteilseigner hat die von ihm erhaltenen Gewinnausschüttungen nur insoweit als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu besteuern, als diese keine Rückgewähr von nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen (Einlagenrückgewähr) darstellen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 3 EStG). Die Rückgewähr von Einlagen sind aus Sicht des Anteilseigners keine Kapitalerträge, sondern stellen lediglich eine Art Vermögenumschichtung dar (vgl. Kümpel in: Bott/Walter, KStG, 1. Aufl. 1996, 157. Lfg., § 27 KStG Rz. 1).
Bescheinigungsverfahren
Nach § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG hat die Kapitalgesellschaft ihren Anteilseignern eine Steuerbescheinigung nach amtlich vorgeschriebenem Muster zu erteilen, in welcher der auf den jeweiligen Anteilseigner entfallende Betrag einer Einlagenrückzahlung ausgewiesen ist. Diese Steuerbescheinigung dient auf Anteilsebene der Herausrechnung der gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht steuerbaren Beträge aus den Dividendenerträgen.
Ist für eine Leistung der Kapitalgesellschaft die Minderung des steuerlichen Einlagekontos zu niedrig bescheinigt worden, bleibt die der Bescheinigung zugrunde gelegte Verwendung unverändert (§ 27 Abs. 5 Satz 1 KStG). Ist für die Leistung bis zum Tag der Bekanntgabe der erstmaligen gesonderten Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos zum Schluss des Wirtschaftsjahrs der Leistung eine Steuerbescheinigung i. S. d. § 27 Abs. 3 KStG nicht erteilt worden, gilt nach § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG der Betrag der Einlagenrückgewähr mit 0 EUR bescheinigt. In beiden genannten Fällen ("Zu-Niedrig-Bescheinigung" und ”fingierte 0 EUR-Bescheinigung”) ist eine Berichtigung oder erstmalige Erteilung von Steuerbescheinigungen i. S. d. § 27 Abs. 3 KStG nicht zulässig (vgl. BFH, Beschluss v. 19.1.2021, I B 3/20, BFH/NV 2021, S. 648).
Schadensersatz wegen fehlender steuerlicher Beratung
Das OLG Hamm hatte sich kürzlich mit der Frage zu befassen, ob und ggf. in welcher Höhe eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (WPG) Schadensersatz wegen fehlender steuerlicher Beratung bei der Anwendung des § 27 KStG zu leisten hat und ob im Rahmen einer konsolidierten Schadensbetrachtung auch die Vermögenssituation zu berücksichtigen ist, die sich aus den tatsächlichen Geschehnissen aufseiten ihrer Gesellschafter ergeben hat (zur konsolidierten Schadensberechnung vgl. in Honorargestaltung 4/2021). Dabei ging es um Folgendes:
Die Klägerin ist eine GmbH, die sich u. a. mit der Förderung des Tourismus in einem hessischen Landkreis beschäftigt. Gesellschafter der Klägerin sind mehrere Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts (Städte und Gemeinden). Die beklagte WPG erstellte für die Klägerin u. a. die Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen für das Jahr 2013. Das Finanzamt vertrat im Nachgang zu den erklärungsgemäß durchgeführten Veranlagungen die Auffassung, dass von einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) der Klägerin an ihre Gesellschafter in Höhe des im Jahresabschluss ausgewiesenen Verlusts von rd. 406.000 EUR auszugehen sei, weil die Klägerin in den Jahren 2012 bis 2015 dauerdefizitär gewesen sei, ohne ein begünstigtes Dauerverlustgeschäft i. S. d. § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG zu betreiben.
Nach einer Außenprüfung setzte das Finanzamt gegen die Klägerin als Entrichtungsschuldnerin für das Kalenderjahr 2013 Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag von insgesamt 64.000 EUR bestandskräftig fest.
Grund für Schadensersatzforderung
Die Klägerin machte im Wesentlichen geltend, dass der von ihr mit der WPG geschlossene Steuerberatungsvertrag Schutzwirkung auch zugunsten der Gesellschafter habe. Im Rahmen ihrer Tätigkeit hätte die WPG auf die Möglichkeit der Annahme von vGA zugunsten ihrer Gesellschafter, den damit drohenden Anfall von Kapitalertragsteuern und Solidaritätszuschlag sowie der Möglichkeit der Erteilung einer Bescheinigung nach § 27 Abs. 3 KStG hinweisen müssen. Hätte die WPG die Klägerin entsprechend aufgeklärt, hätte diese die vGA aus dem steuerlichen Einlagekonto finanzieren können. Durch das Ausstellen einer Bescheinigung nach § 27 Abs. 3 KStG zur entsprechenden Verwendung des steuerlichen Einlagekontos hätte die Steuerlast verhindert werden können.
Die WPG vertrat die Ansicht, dass bei einer konsolidierten Schadensbetrachtung nicht nur die rechtmäßige Steuerfestsetzun...