Dr. Dario Arconada Valbuena, Jürgen Berners
Anhand des BGH-Urteils v. 13.11.2017 (Az. IX ZR 204/16) wird sehr deutlich, welche Risiken Steuerberater, Rechtsanwälte und andere Freiberufler eingehen, sofern das Kerngeschäft im großen Stil über die Akquise im Internet und die Kommunikation ohne persönlichen Mandantenkontakt abläuft. Selbst wenn dieser später gesucht wird, heilt diese Tatsache nicht den Tatbestand, dass der ursprüngliche Vertrag den Regelungen des Fernabsatzvertrags unterfällt.
Der BGH hatte zu prüfen, unter welchen Bedingungen ein Rechtsanwaltsvertrag als Fernabsatzvertrag anzusehen ist, mit der Rechtsfolge, dass dieser Vertrag widerruflich ist. Dabei ging es um folgende Fragen:
- Liegt ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem bereits dann vor, wenn der Rechtsanwalt lediglich die technischen Möglichkeiten (Briefkasten, elektronische Postfächer, Telefon- und Faxanschlüsse) zum Abschluss eines Rechtsanwaltsvertrags im Fernabsatz vorhält?
- Welche grundsätzlichen Kriterien führen zur Annahme eines Fernabsatzvertrags?
Der Beklagte erhielt von einer mit der späteren Klägerin (Rechtsanwaltsgesellschaft) in Kontakt stehenden GmbH am 22.1.2014 ein Schreiben, in dem diese ihre Dienste anbot und in diversen, dem Beklagten übersandten Schriftstücken diesen u. a. dazu aufforderte, einen Fragebogen auszufüllen, eine Vollmacht zu unterschreiben und beides zurückzusenden. Die beigefügte Vollmacht war auf den Namen der Klägerin ausgestellt.
Die Rechtsanwaltsgesellschaft hatte die GmbH im Vorfeld mit Blankoformularen ausgestattet mit dem Ziel, die GmbH möge diese potenziellen Mandanten zuleiten. Inhaltlich ging es in dem Fragebogen um das Anstreben einer Klage gegen eine Fondsgesellschaft, an der der Beklagte zu diesem Zeitpunkt beteiligt war. Hierbei handelte es sich um die rechtliche Abwägung einer zu führenden Kapitalmarktklage, von der zu diesem Zeitpunkt neben dem Beklagten noch unzählige weitere Anleger und Investoren betroffen waren.
Der Beklagte unterzeichnete die außergerichtliche Vollmacht und übersandte sie zusammen mit anderen durch ihn vervollständigten Unterlagen an die GmbH zurück. Die GmbH übermittelte die vom Beklagten eingereichten Unterlagen und die Vollmacht unverzüglich an die Klägerin.
Nach Eingang der Unterlagen machte die Klägerin ohne weitere Kontaktaufnahme zum Beklagten im Rahmen eines Serienbriefs die Ansprüche des Beklagten gegenüber der Fondsgesellschaft geltend.
Nachdem die außergerichtliche Inanspruchnahme der Fondsgesellschaft durch die Rechtsanwaltsgesellschaft gescheitert war, forderte die Klägerin den Beklagten auf, eine weitere Vollmacht auszustellen, die eine Prozessvertretung vorsah. Das lehnte der Beklagte ab, woraufhin ihm die Rechtsanwaltsgesellschaft ihr außergerichtliches Tätigwerden mit einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr in Rechnung stellte.
Der Beklagte wies die Forderung mit Schreiben vom 27.5.2014 und 30.6.2014 zurück und erklärte zugleich mit sofortiger Wirkung den Widerruf der der Rechtsanwaltsgesellschaft erteilten Vollmacht. Diese begehrte mit Klageerhebung die Zahlung ihres anwaltlichen Honorars.
In allen vorinstanzlich geführten Prozessen blieb die Klage erfolglos.
Der BGH urteilte, dass zwar grundsätzlich zwischen der klagenden Rechtsanwaltsgesellschaft und dem Beklagten ein Vertrag dadurch zustande gekommen sei, dass der Beklagte die ihm übersandte Vollmacht der Rechtsanwaltsgesellschaft unterschrieben zurückschickte. Dieser Vertrag konnte aber vom Beklagten wirksam wiederrufen werden, da nach Auffassung des BGH ein Fernabsatzgeschäft zwischen Kläger und Beklagtem vorgelegen habe.
Der BGH stellte urteilsbegründend fest, dass der Beklagte den Vertrag rechtswirksam gekündigt hat (nach §§ 312b, 312d Abs. 1 Satz 1, 355 BGB). Zwischen der Klägerin und dem Beklagten liegt zweifelsfrei ein Fernabsatzvertrag vor, der jederzeit innerhalb bestimmter Frist widerrufen werden kann (§ 355 BGB). Grundsätzlich sah es der BGH als erwiesen an, dass ein Anwaltsvertrag zwar zustande gekommen sei, das von der Klägerin geltend gemachte Zahlungsbegehren jedoch hinfällig sei, da selbigem der vom Beklagten erklärte Widerruf nach § 312 BGB entgegenstehe.
Kriterien, die laut BGH für das Vorliegen eines Fernabsatzvertrags sprechen:
- Bei Rechtsanwaltsverträgen handelt es sich grundsätzlich um Verträge über die Erbringung einer Dienstleistung i. S. d. § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB.
- Dies ist unabhängig davon, ob ihm Rahmen der anwaltlichen Leistungserbringung eine persönliche Dienstleistung im Vordergrund steht oder ob eine Dienstleistung im Rahmen eines Dienst-, Werk- oder Geschäftsbesorgungsvertrags erbracht wird.
- Anwaltsverträge unterfallen in ihrer Ausgestaltung regelmäßig der Kategorie der Dienstleistungs- oder Werkverträge.
- Im Übrigen zeichnen sich Fernabsatzverträge dadurch aus, dass Anbieter und Verbraucher sich nicht physisch begegnen und dem Verbraucher nicht die Möglichkeit eingeräumt wird, die "Ware" vor Vertragsschluss in Augenschein zu nehmen bzw. sich Kenntnis von den Eigenschaften der Dienstleistung zu ...