Dipl.-Finanzwirt Werner Becker, Hans-Günther Gilgan
Hinzuschätzungen sind eine der gefürchtetsten Waffen der Finanzverwaltung. Wird der Fiskus bei einer Betriebsprüfung fündig, kann er abweichend von der Steuererklärung den Gewinn eines Unternehmens ermitteln. Für die Betroffenen ist das i. d. R. mit erheblichen Nachzahlungen verbunden.
Die Gründe für eine Hinzuschätzung durch die Betriebsprüfung sind vielfältiger Natur. So kann eine zwar formell ordnungsgemäße Buchführung ganz oder teilweise verworfen werden, wenn die Würdigung des Sachverhalts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ergibt, dass das Buchführungsergebnis sachlich nicht richtig ist (vgl. § 158 AO). Verstoßen die Buchführung bzw. die Aufzeichnungen allerdings gegen die formellen Vorschriften der §§ 140ff. AO, besteht schon aus diesem Grund keine Vermutung i. S. d. § 158 AO für die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses. Es entspricht der Erfahrung, dass eine formell ordnungswidrige Buchführung i. d. R. auch sachliche Mängel aufweist. Dies reicht regelmäßig aus, um eine Schätzung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO zu rechtfertigen.
Kommt es zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, gehört es in der Praxis der Finanzverwaltung und der Steuerberater bei Betriebsprüfungen zum täglichen Rüstzeug, über Sachverhalte, die nur unter erschwerten Umständen ermittelt werden können, eine – auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannte – sog. "tatsächliche Verständigung" zu treffen, um die Betriebsprüfung zeitnah und einvernehmlich zum Abschluss zu bringen.
Aber was tun, wenn der Mandant in Nachhinein Schadensersatzansprüche aus Steuerberatung gegen den Steuerberater wegen der Steuernachzahlungen geltend macht? Muss der Steuerberater für einen (angeblichen) Hinzuschätzungsschaden aufkommen?
Die Entscheidung des OLG Hamm (Beschluss v. 17.9.2021, I-25 U 58/20, DStRE 2022, S. 509, NZB eingelegt, Az. beim BGH: IX ZR 158/21) gibt Antworten zu diesen Fragen.
Kläger behauptet Schadensersatzansprüche
Der Kläger hatte seine Steuerberaterin mit der Erstellung der Jahresabschlüsse und -steuererklärungen sowie der Lohn- und Finanzbuchhaltung für sein Einzelunternehmen mit Autoteilen und die von ihm betriebene Rechtsanwaltskanzlei beauftragt.
Im Rahmen einer bei dem Kläger durchgeführten Betriebsprüfung (BP) beanstandete das Finanzamt (FA) erhebliche Mängel der Kassenführung und Buchhaltung und nahm wegen dieser Mängel gewinnerhöhende Hinzuschätzungen vor. Hierauf hatten sich der Kläger und das FA verständigt. Die Hinzuschätzungen führten zu Mehrsteuern und Nachzahlungszinsen von rd. 28.200 EUR. Ein Steuerstrafverfahren wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der Kläger verlangte von der Steuerberaterin u. a. den Ersatz eines Schätzungsschadens von 28.200 EUR.
Das LG Münster hatte die Klage abgewiesen, weil der Kläger seinen Schaden nicht substantiiert dargelegt habe. Bezüglich der Zuschätzungen von Einnahmen und Kürzungen von Betriebsausgaben habe der Kläger nicht dargelegt, dass die vom FA vorgenommenen Schätzungen sachlich unzutreffend und welche Gewinne bzw. Verluste davon abweichend entstanden seien. Die Feststellungen im BP-Bericht deuteten darauf hin, dass die aufgedeckten Steuerverkürzungen ganz überwiegend durch den Kläger verursacht worden seien.
Entscheidung des OLG Hamm
Das OLG hat entschieden, dass ein Anspruch auf Schadensersatz aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Steuerberatervertrag i. V. m. § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB, der einzigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, nicht besteht. Der Kläger habe eine schuldhafte Pflichtverletzung seiner Steuerberaterin nicht dargetan. Ferner mangele es an der Darlegung eines auf die Pflichtverletzung zurückzuführenden Schadens.
Kläger ist darlegungs- und beweispflichtig
Die Qualität der Buchhaltung ist abhängig von der Mitwirkung des Mandanten, denn der Steuerberater kann nur auf der Grundlage der ihm vom Mandanten im Zeitpunkt der Leistungserbringung erteilten Informationen sowie übergebenen Belege tätig werden. Eine Pflichtverletzung kommt deshalb nur in Betracht, wenn dem Steuerberater bei der Verarbeitung dieser Informationen und Belege ein Fehler unterlaufen ist. Hieraus ergibt sich, dass für die Darlegung eines vom Steuerberater zu vertretenden Buchführungsfehlers, sofern es sich nicht um im System begründete Buchführungsfehler handelt, die substantiierte Angabe des Mandanten erforderlich ist, welche Buchung der Berater aufgrund welcher Informationen und/oder ihm vorgelegten Belege hätte vornehmen müssen und was er stattdessen gebucht hat. Dem Gericht muss die Feststellung der unkorrekten Buchführung möglich sein.
Pflichtverletzung des Steuerberaters
Der Mandant ist darlegungs- und beweispflichtig für die Übermittlung aller Unterlagen sowie Informationen und deren Zeitpunkt. Eine Pflichtverletzung liegt erst dann vor, wenn der Steuerberater hätte erkennen müssen, dass die Unterlagen unvollständig oder fehlerhaft sind.
Der Steuerberater darf grundsätzlich auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der ihm gegebenen Auskünfte und Bel...