Leitsatz
1. Soweit ein Anspruch auf Erstattung von ESt auf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeführter LSt beruht, ist eine Aufrechnung des FA mit Steuerforderungen gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig.
2. Das Aufrechnungshindernis entfällt erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und nicht bereits mit dem Beschluss über die Ankündigung der Restschuldbefreiung.
Normenkette
§ 226 Abs. 1 AO, § 387 BGB, § 35, § 80 Abs. 1, § 87, § 96 Abs. 1 Nr. 1, § 200, § 289, § 291 InsO
Sachverhalt
Nach Ankündigung der Restschuldbefreiung, jedoch vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens erklärte das FA die Aufrechnung einer bereits bei Verfahrenseröffnung bestehenden Steuerforderung gegen einen später festgesetzten ESt-Erstattungsanspruch, der sich aus LSt-Zahlungen im Jahr der Verfahrenseröffnung ergab. Der Insolvenzverwalter erhob gegen den Abrechnungsbescheid, in dem die Tilgung des Erstattungsanspruchs durch Aufrechnung festgestellt worden war, Klage.
Das FG hob den Bescheid insoweit auf, als er sich auf LSt bezog, die im Monat der Verfahrenseröffnung und danach entstanden war. Es ließ die Revision nicht zu.
Entscheidung
Der Erstattungsanspruch gehört zur Insolvenzmasse, § 35 InsO. Gegen ihn darf folglich nicht aufgerechnet werden, wenn die Voraussetzungen des § 96 InsO vorliegen. Das war im Besprechungsfall insoweit unstrittig der Fall, als der Erstattungsanspruch des Insolvenzschuldners sich auf LSt-Zahlungen bezog, die nach Verfahrenseröffnung geleistet worden sind.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision problematisiert worden war nur, ob vorgenannte Vorschrift nach Ankündigung der Restschuldbefreiung noch anzuwenden ist. Das hat der BFH als offenkundig angesehen. Er hat der Rechtssache deshalb keine grundsätzliche Bedeutung beigemessen und die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision folglich zurückgewiesen.
Hinweis
1. Schon vor Inkrafttreten des § 35 InsO, als der so genannte Neuerwerb des Konkursschuldners noch nicht zur Konkursmasse gerechnet wurde, hatte der BFH steuerrechtliche Ansprüche zur Insolvenzmasse gerechnet und Forderungen des FA als Insolvenzforderungen angesehen, wenn im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung der "Rechtsgrund" für den Anspruch bereits "gelegt" war, auch wenn der Anspruch im steuerrechtlichen Sinn noch nicht entstanden war (z.B. Urteil in BStBl II 2005, 195 und in BStBl II 2006, 193). Diese Rechtsprechung ist nach wie vor für die Anwendung des § 96 InsO von Bedeutung.
2. Bei Steuervorauszahlungen erlangt der Steuerpflichtige bereits mit deren Entrichtung einen Erstattungsanspruch unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist als die Vorauszahlung. Bei Lohnsteuerzahlungen ist deshalb unproblematisch, dass das FA eine Erstattung nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geleisteter Lohnsteuerzahlungen erst nach Eröffnung des Verfahrens schuldig wird und deshalb gegen einen diesbezüglichen Erstattungsanspruch während des andauernden Insolvenzverfahrens nicht aufrechnen darf.
3. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners verloren, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen; es geht (einstweilen) auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Die Insolvenzgläubiger können ab diesem Zeitpunkt ihre Forderungen nur nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften verfolgen, also gegen zur Insolvenzmasse gehörende Forderungen auch nur nach den §§ 94 bis 96 InsO aufrechnen.
4. Diese Wirkungen des Insolvenzverfahrens entfallen erst mit dessen Aufhebung, nicht etwa sobald eine Restschuldbefreiung möglich ist; sie ist vielmehr Teil des Insolvenzverfahrens.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 7.6.2006, VII B 329/05