Nach handelsrechtlicher Praxis gelangen die Leasingregeln nur dort zur Anwendung, wo von einem Leasingvertrag, Mietkauf, Mietvertrag oder Ähnlichem die Rede ist. IFRS 16.B9 ff. folgt demgegenüber folgendem Grundsatz: "Nicht nur wo Leasing draufsteht, ist auch Leasing drin." Rechtlich anders verpackte Vertragsverhältnisse können wirtschaftlich ein verdecktes Leasingverhältnis (embedded lease) enthalten. Wichtig sind zwei Grundfälle:
- Einem Kunden wird eine abnutzbare Sachanlage zivilrechtlich veräußert, gleichzeitig der Rückkauf nach einer bestimmten Nutzungsdauer vereinbart und preislich festgeschrieben (IFRS 16 i. V. m. IFRS 15.B66).
- Zum zivilrechtlichen Eigentum eines Zulieferers gehören kundenspezifische Werkzeuge oder Maschinen, auf denen ausschließlich für einen bestimmten Kunden produziert wird (IFRS 16.B21).
Zum Rückkaufsfall – sale-and-buy-back – folgendes Beispiel:
Beispiel
Der Automobilhersteller A tätigt Ende 01 mit dem Autovermieter V ein Flottengeschäft. 10.000 Fahrzeuge, Herstellungskosten je 14 TEUR, werden zu einem Preis von jeweils 20 TEUR veräußert. Gleichzeitig garantiert A die Rücknahme der Fahrzeuge nach einem Jahr bei vertraglich vereinbarter durchschnittlicher Laufleistung und durchschnittlichem Erhaltungszustand zu einem Preis von 15 TEUR, ansonsten mit entsprechenden Zu- und Abschlägen. Der Rücknahmepreis liegt über dem am Markt für eine entsprechende Absatzmenge erzielbaren Preis.
Die Parteien tätigen nur in formeller zivilrechtlicher Betrachtung Veräußerungsgeschäfte. Wirtschaftlich ergibt sich aus der Differenz von Verkaufspreis und Rücknahmepreis ein Nutzungsentgelt, somit ein Leasingverhältnis. Da der Rücknahmepreis über dem Marktwert liegt, eine Rückgabe also wahrscheinlich ist, und die Vertragsdauer nur einen geringen Teil der gesamten Nutzungsdauer der Fahrzeuge darstellt, liegt ein operating lease vor. A bucht daher keinen Umsatz, sondern wie folgt (in EUR):
Ende 01
Konto |
Soll |
Haben |
Anlagevermögen |
140 Mio. |
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Vorratsvermögen (wegen der Umqualifizierung der Leasingfahrzeuge im Anlagevermögen) |
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140 Mio. |
Geld |
200 Mio. |
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Vertragliche Schuld (IFRS 15) |
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50 Mio. |
sonstige Verb. (Rückkaufspreis) |
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150 Mio. |
In 02
Konto |
Soll |
Haben |
Vertragliche Schuld |
50 Mio. |
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Umsatz |
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50 Mio. |
sonstige Verb. |
150 Mio. |
|
Geld |
|
150 Mio. |
In Zulieferindustrien, z. B. in der Automobilbranche, kommt es häufig zur Produktion sog. kundengebundener "Werkzeuge". Auftragnehmer (Zulieferer) und Auftraggeber (Abnehmer) schließen einen längerfristigen Rahmenvertrag, dem zufolge der Auftragnehmer Teile für den Auftraggeber nach dessen technischen Spezifikationen erstellt. Die Produktion der Zulieferteile erfordert den Einsatz spezifischer Werkzeuge (Gussformen etc.), die für alternative Zwecke nicht einsetzbar sind.
Am Anfang des Leistungsprozesses steht regelmäßig die Herstellung dieser Werkzeuge. Soweit der Auftraggeber nicht ausnahmsweise eine für die Amortisation der Werkzeugkosten hinreichend hohe Mengenabnahme garantiert, werden Vereinbarungen getroffen, die dem Auftragnehmer das Risiko der Wertloswerdung der Werkzeuge teilweise abnehmen. Derartige Vereinbarungen können vorsehen:
- am Anfang zu zahlende Werkzeugkostenzuschüsse bzw. -beiträge, die auf Basis der gemeinsamen Teilekalkulation implizit auf den Preis der gelieferten Teile angerechnet werden,
- einen bei Vertragsbeendigung oder dauerhaftem Verfehlen der Mengenziele zu zahlenden Amortisationsbeitrag,
- stückzahlenunabhängige, laufende Amortisationsgebühren.
Die Vereinbarungen enthalten überdies regelmäßig Bestimmungen für das Ende des (laufenden) Produktionszyklus, z. B. eine Pflicht des Auftragnehmers, die Werkzeuge nach Auslaufen der Bauserie noch zehn Jahre aufzubewahren und für Ersatzteileanforderungen einzusetzen, oder aber die Verpflichtung zur Rückübertragung der Werkzeuge an den Auftraggeber.
Nach den Kriterien von IFRS 16 erfüllen die Rahmenverträge oft den Tatbestand eines verdeckten Leasingverhältnisses. Der Zulieferer als rechtlicher Eigentümer überlässt in wirtschaftlicher Betrachtung dem Abnehmer die Werkzeuge. Der Leasinggeber (Zulieferer) hat dann zu beurteilen, ob die Nutzungsüberlassung (Leasing)
- als finance lease (dann Ausbuchung der Werkzeuge) oder
- als operating lease (dann Bilanzierung beim Zulieferer) erfolgt.
Für ein finance lease sprechen insbesondere die den Aufbewahrungspflichten des Zulieferers entsprechenden dauernden Verfügungsrechte des Abnehmers oder dessen Erwerbsrechte für den Fall der vorzeitigen Vertragsbeendigung. Auch ohne solche Regelungen ist die Qualifizierung als finance lease die Regel, da die Werkzeuge nicht allgemein verwendbar sind, also ein Fall des Spezialleasings vorliegt.
Bei einem derartigen finance lease treffen die Regelungen von "IFRS 16 Leasing" und "IFRS 15 Erlöse" zusammen. Die Vertragskonstruktion kann in diesem Fall als eine besondere Form des Herstellerleasings qualifiziert werden, die sich von den bekannten Formen (z. B. Kfz- oder EDV-Leasing) nur dadurch unterscheidet, dass das hergestellte und im Wege des ...