Prof. Dr. Ronald Gleich, Prof. Dr. Heimo Losbichler
Unternehmen, die sich in Krisensituationen befinden, entscheiden sich nicht selten für kurzfristige Sparmaßnahmen und erhebliche Kostenreduzierungsprogramme. Denn an allererster Stelle steht die Liquiditätssicherung für die mittelfristige Zukunft. Doch warum hat sich in den Köpfen ein Krisenmanagement etabliert, welches maßgeblich durch Kostenreduktion charakterisiert ist? Grundsätzlich ist die Tendenz, Einsparungen vornehmen zu wollen, nicht abwegig; indes wollen wir anmerken, dass die Entscheidungen, an welcher Stelle und in welcher Höhe Einsparungen vorgenommen werden sollen, zumeist überhastet und ohne Analyse des langfristigen Horizonts gemacht werden. Diese können nämlich im Gegenzug dem Unternehmen potenziell mehr schaden, als sie einzusparen versuchen. Zunächst sind die Art, Höhe und betroffene Stelle der Einsparung von der jeweiligen Art und Intensität der Krise abhängig. Dafür sollten die aktuellen und potenziellen Auswirkungen einer Krise vor dem Hintergrund des Unternehmens-Kerngeschäfts genauestens reflektiert werden. Folgende Fragestellungen können bei der Analyse helfen:
- Welche Abteilungen und externen Stakeholder sind heute/mittelfristig/langfristig von der Krise betroffen?
- Ist das Kerngeschäft in Gefahr? Lässt sich ein potenzieller Schaden quantifizieren?
- Welche für das Kerngeschäft nicht lebensnotwendigen Unternehmensbereiche bieten Einsparpotenziale?
- Sofern das Kerngeschäft betroffen ist: Wie können wir uns möglichst schnell anpassen?
Hinsichtlich der akuten Corona-Krise lässt sich festhalten, dass die besonders gravierend betroffenen Unternehmen sowohl ihre Produktion als auch ihre wertschöpfenden Aktivitäten auf ein Maß reduzieren, welches zur angeglichenen Auftragslage passt. Vor diesem Hintergrund sollten besonders Lieferketten regelmäßig überprüft werden. Weiterhin wären hier Vorüberlegungen sinnvoll, die der Abhängigkeit von einzelnen Rohstoffen oder Lieferanten entgegenwirken. Bezieht ein Unternehmen bspw. eine für die Produktion unabdingbare Komponente über einen Zulieferer, der selbst stark von der Krise betroffen ist, müssen alternative Beschaffungswege gefunden werden. Grundsätzlich kann man hier davon ausgehen, dass je höher die Spezifität einer Produktions- oder Rohstoffkomponente ist, desto eher Alternativen bereits im Vorfeld zu suchen sind, damit man nicht von einem plötzlichen Lieferanten-Ausfall überrascht wird. Theoretisch könnten hier gleichzeitig eine Make-or-Buy-Option geprüft werden. Aufgrund der üblicherweise knapp verfügbaren Liquidität von Unternehmen in Krisenzeiten und des vermeintlich hohen finanziellen Aufwands, der mit Integrations- bzw. In-house-Lösungen verbunden ist, raten wir hier in erster Linie zu alternativen Beschaffungsoptionen. In personalintensiven Industrien sollten die Möglichkeiten der Heim- und Kurzarbeit voll ausgeschöpft werden. Überschüssiger Urlaub oder Überstunden sollten ebenfalls abgebaut werden.
Während das Kerngeschäft in jedem Falle erhalten und gestärkt werden soll, sollten etwaige unprofitable Nebenaktivitäten limitiert oder sogar eliminiert werden. Indes sollten Expansions- und Wachstumsmöglichkeiten geprüft werden, da im Regelfall globale Krisen nicht nur einzelne Branchen oder Unternehmen betreffen. Eine strategische Übernahme oder ein Transfer in bislang unbekannte Bereiche sorgt für eine Produktportfolio-Erweiterung über das Kerngeschäft hinaus und kann dadurch langfristig Liquidität sichern. Ein Beispiel hierfür wäre die Übernahme kleinerer Unternehmen, die zwar erfolgreiche Produkte hervorbringen, aber Probleme haben, den gesamten Markt zu erreichen (Skalierbarkeit). IBM hat in der Zeit zwischen 2010 und 2013 43 Unternehmen übernommen und im Durchschnitt den Umsatz pro akquiriertem Unternehmen um mehr als 40 % steigern können. Uns ist völlig bewusst, dass die meisten Unternehmen in Krisen (unabhängig von der Größe) deutlich bzgl. geplanter Investitionen zurückstecken; wir wollten diese Möglichkeit dennoch aufzeigen, weil sich einige Unternehmen strategisch neu ausrichten müssen. Neben der Akquise von Unternehmen sollte auch die Erschließung neuer Märkte und Kundengruppen sorgfältig evaluiert werden. Auch Desinvestitionen können dazu beitragen, notwendig werdende Geldmittel zu generieren.
Die Bekämpfung von Risiken hat über die letzten Jahrzehnte deutlich an Schwierigkeit zugenommen. Das ist zum einen durch die wachsende Komplexität von Produkten und Organisationen zu erklären. Globale Lieferketten und damit verbundene Abhängigkeiten bedeuten neben wohl möglich schnellerer und günstigerer Beschaffung auch ein erhöhtes Ausfallrisiko. Das ist dadurch zu erklären, dass auch Zulieferer häufig Zwischenhändler oder ihr eigenes Netz aus Abhängigkeiten haben: Die Risiken potenzieren sich. Zudem haben die einzelnen Interessengruppen deutlich stärkere Erwartungen als das früher der Fall gewesen ist: Man erwartet häufig schnelle Reaktionen auf negative Erfahrungen mit einzelnen Unternehmen, bspw. in sozialen Medien. Zuletzt werden Krise...