Prof. Dr. Ronald Gleich, Prof. Dr. Heimo Losbichler
Die COVID-19-Krise hat die Nachteile einer globalisierten Wirtschaft mit komplexen Lieferketten aufgezeigt. Bereits vor der Krise haben viele Unternehmen diesem Trend mittels De-Globalisierung entgegenwirkt, da sie bereits durch den Brexit mögliche Liefer- und Produktionsrisiken wahrgenommen haben. Jedoch funktioniert die Umstellung von einer globalen zu einer regionalen bzw. nationalen Lieferkette nicht kurzfristig. Unternehmen sollten darüber nachdenken, die Produktion näher als bisher an den Absatzmarkt zu bringen und so Lieferwege zu verkürzen. Damit werden flexible Transportwege ermöglicht, die Reaktionsfähigkeit wird erhöht und anfallende Zollkontrollen bzw. -zahlungen werden umgangen.
Durch eine Krise kann demzufolge die Lieferkette unterbrochen werden. Neben einer absatzmarktnahen Produktion ist es deswegen durchaus sinnvoll, sich für strategische Komponenten und kritische Materialien einen zweiten Produzenten bzw. Lieferanten zu suchen. Diese Entscheidung kann bspw. auf Grundlage einer Datenanalyse getroffen werden. Möglich ist z. B. ein digitales Echtzeit-Tracking von Lieferungen und deren Visualisierung über Dashboards, wodurch potenzielle Risiken vorab identifiziert werden können. Dadurch können konkrete Aktionspläne erarbeitet werden.
Generell muss das Controlling bei der Einschätzung potenzieller Risiken fünf Dimensionen beachten:
- Planung und Lieferantennetzwerk: Nachfrageprognose, Widerstandsfähigkeit des Netzwerks, Anfälligkeit des Netzwerks durch externe Schocks
- Transport und Logistik: Widerstandsfähigkeit des Netzwerks
- Finanzielle Resilienz: Finanzierbarkeit von erhöhten Lieferkettenkosten oder anhaltenden Unterbrechungen
- Produktkomplexität: Substituierbarkeit einzelner Produktkomponenten, Produktanpassung bei Wegfall einzelner Komponenten
- Organisation: Agilität bei externen Schocks
Diese Dimensionen muss das Controlling bei der Entwicklung von Kennzahlen einfließen lassen. Darüber hinaus muss es diese bei der Risikobeurteilung, sowie beim Target Costing, bei der Prozesskostenrechnung, beim Benchmarking und bei weiteren Analysen berücksichtigen.
Die COVID-19-Krise sollte somit als Chance gesehen werden, die Digitalisierung im Hinblick auf eine transparente digitale Datenerfassung flächendeckend in die Unternehmensinfrastruktur zu integrieren. Neben der Auswertung bzw. der Ableitung von Handlungsempfehlungen hat das Controlling zudem die Optimierung des Bestands sowie die Überprüfung der Lieferanten auf finanzielle Stabilität, Kapazitäten und Lieferfähigkeit sicherzustellen.
Mittelfristig wird das Thema des Lieferantenrisikomanagements relevanter. Um die erfassten Risiken zu dokumentieren, zu bewerten und zu managen, bedarf es in diesem Bereich der Entwicklung eines gesamtheitlichen Konzepts. Schon heute wird genau beobachtet, wie sich Beschaffungs- und Absatzmärkte entwickeln, wie sich entsprechende Rahmenbedingungen ändern und welche Maßnahmen zur Minimierung von Risiken zu ergreifen sind. Durch die Schnelllebigkeit müssen Szenario-Analysen regelmäßig aktualisiert werden. Darüber hinaus wird vom Controlling mehr Feingefühl im Beziehungsmanagement erfordert, teilweise muss dieser sich von der reinen Kostensicht distanzieren und positive Erfahrungen mit den Lieferanten ins Kalkül einbinden. Den resultierenden Einschätzungen und Empfehlungen des Risikomanagements muss künftig mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Diese sollten demnach noch stärker als bisher ins Unternehmen integriert werden. Die gewonnenen Erkenntnisse müssen in einem strikten Performance Management münden, indem detailliertere Forecasting-Prozesse sowie eine gesteigerte Liquidität angestrebt werden.