Leitsatz
1. Sind mehrere Personen als Gesamtschuldner zur Erfüllung einer Zollschuld verpflichtet, liegt die Entscheidung, gegen welchen Gesamtschuldner die Abgaben festgesetzt werden, im pflichtgemäßen Ermessen des HZA.
2. Das HZA trifft auch dann eine im pflichtgemäßen Ermessen liegende Auswahlentscheidung, wenn es die Abgaben gegen sämtliche in Betracht kommenden Gesamtschuldner festsetzt.
3. Die vom HZA getroffene Auswahlentscheidung ist spätestens in der Einspruchsentscheidung zu begründen. Hat sich einer der in Anspruch genommenen Gesamtschuldner einer vorsätzlichen Steuerstraftat schuldig gemacht, der andere hingegen nicht, kann von einer Begründung, warum auch dieser als Abgabenschuldner neben dem Steuerstraftäter herangezogen wird, nicht abgesehen werden.
Normenkette
Art. 202 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 2913/92 , Art. 202 Abs. 3 Anstrich 1 VO (EWG) Nr. 2913/92 , Art. 213 VO (EWG) Nr. 2913/92 , § 5 AO , § 102 FGO
Sachverhalt
Bei einer Straßenkontrolle wurde vom ZFA festgestellt, dass ein Lkw mit unverzollten und unversteuerten Zigaretten beladen war. Diese waren hinter Möbeln versteckt, die der Lkw laut Frachtbrief beförderte. Der insofern gutgläubige Fahrer und der wegen Steuerhinterziehung verurteilte Beifahrer des Lkw wurden vom HZA wegen der auf die Zigaretten entfallenden Einfuhrabgaben in Anspruch genommen.
Die vom Fahrer erwirkte Einspruchsentscheidung enthält den Hinweis, dass dieser "gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen" werde.
Entscheidung
Der BFH hatte die Zollschuldnerschaft von Fahrer und Beifahrer nach der Rechtsprechung des EuGH zu bejahen. Er hat aber angenommen, dass die Abgabenfestsetzung gegen den Fahrer deshalb rechtswidrig sei, weil sie eine Ermessensentscheidung enthalte und diese nicht ausreichend begründet sei.
Dem Fahrer konnte nämlich anders als dem Beifahrer nicht widerlegt werden, dass er von den Zigaretten nichts wusste. Deshalb hätte sich das HZA nicht mit dem bloßen Hinweis auf seine gesamtschuldnerische Inanspruchnahme begnügen dürfen, sondern begründen müssen, weshalb es auch den gutgläubigen Fahrer in Anspruch nehmen will.
Hinweis
1. Eine Zollschuld entsteht, wenn Waren vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden (Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a ZK). Versteckte Waren sind nur dann vorschriftsgemäß in das Zollgebiet verbracht, wenn für sie eine Gestellungsmitteilung abgegeben wird. Dass der Lkw mit den übrigen in den Frachtpapieren bezeichneten Waren gestellt wird, reicht also nicht.
Vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht sind auch solche Waren, von denen der Fahrer oder Beifahrer eines Fahrzeugs gar nicht weiß, dass sie sich in dem Fahrzeug befinden. Denn auch wenn der BFH davon spricht, solche Waren seien "ohne ihren Willen in das Zollgebiet gelangt", ist zollrechtlich doch davon auszugehen, dass sie solche Waren in das Zollgebiet "verbringen" (siehe Vorabentscheidung des EuGH vom 4.3.2004, Rs. C-238/02 und C-246/02, ZfZ 2004, 159). Das ist schon begrifflich gerechtfertigt, weil sich der Beförderungswille eines Lkw-Fahrers auf die Ladung als solche zu beziehen pflegt, mag er sich über deren Zusammensetzung auch mehr oder weniger genaue und zutreffende Vorstellungen machen.
2. Mehrere Zollschuldner sind Gesamtschuldner (Art. 213 ZK).
3. Welcher von mehreren Gesamtschuldnern aus demselben Rechtsgrund in Anspruch genommen werden soll, steht allerdings nicht im freien Belieben, sondern im pflichtgemäßen Auswahlermessen der Behörde (BFH, Urteil vom 23.11.1993, VII R 32/93, BFH-PR 2004, 248). Es ist im Regelfall billig und gerecht, wenn der Täter oder Teilnehmer einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat als Abgabenschuldner in Anspruch genommen wird; die Ermessensentscheidung bedarf dann keiner besonderen Begründung.
Anders ist es, wenn neben dem Schmuggler Dritte in Anspruch genommen werden sollen, die schuldlos gehandelt haben. Dann bedarf die Entscheidung, sie ebenfalls aufgrund der Gesamtschuld in Anspruch zu nehmen, nach der Rechtsprechung des BFH einer besonderen Begründung.
4. Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a ZK gilt für die Tabaksteuer (§ 21 TabakStG) und für die Einfuhrumsatzsteuer (§ 21 Abs. 2 UStG) sinngemäß.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 20.7.2004, VII R 20/02