Leitsatz
1. Begründen Tatsachen den Verdacht einer Tat, die den Straftatbestand einer rechtswidrigen Zuwendung von Vorteilen i.S.d. § 299 Abs. 2 StGB erfüllt, so ist die Finanzbehörde ohne eigene Prüfung, ob eine strafrechtliche Verurteilung in Betracht kommt, verpflichtet, die erlangten Erkenntnisse an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten.
Das Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebieten es nicht, dass das FA vor der Übermittlung der den Tatverdacht begründenden Tatsachen prüft, ob hinsichtlich der festgestellten Zuwendungen Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist oder Verwertungs- bzw. Verwendungsverbote vorliegen.
2. Ein Verdacht i.S.d. § 4 Abs. 5 Nr. 10 S. 3 EStG, der die Information der Strafverfolgungsbehörden gebietet, besteht, wenn ein Anfangsverdacht i.S.d. Strafrechts gegeben ist. Es müssen also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Tat nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 S. 1 EStG vorliegen.
Normenkette
§ 30, § 393 AO, § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG, § 78, § 78a, § 78c, § 299 StGB, § 150, § 152, § 170, § 203 StPO
Sachverhalt
Ein Unternehmen leistete an den Einkäufer eines wichtigen Kunden regelmäßig Schmiergeldzahlungen. Das wurde bei einer Außenprüfung aufgedeckt und wird vom FA als Straftat nach § 299 Abs. 2 StGB angesehen. Das FA beabsichtigt, seine Erkenntnisse über die Zahlungen an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten.
Ihm dies im Weg der einstweiligen Anordnung zu untersagen, lehnte das FG ab (FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.02.2008, 4 V 630/07, Haufe-Index 1954568, EFG 2008, 760). § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG schreibe die beabsichtigte Weiterleitung zwingend vor. Die möglicherweise bereits eingetretene Strafverfolgungsverjährung oder ein strafrechtliches Verwertungsverbot stünden nicht entgegen.
Entscheidung
Der BFH hat gegen diese rigide Sicht nichts einzuwenden. Er hält für klar und eindeutig, dass das FA keinerlei strafrechtliche Prüfung vornehmen muss, ob die Staatsanwaltschaft mit seinen Informationen überhaupt rechtmäßig etwas anfangen kann. Die strengeren Maßstäbe, die der BFH bei der Information der Sozialverwaltung nach § 31a AO kürzlich angelegt hatte (Beschluss vom 04.10.2007, VII B 110/07, BStBl II 2008, 42, BFH/PR 2008, 35), scheinen vergessen.
Hinweis
Das StGB bestraft bekanntlich auch Bestechung im Wirtschaftsleben. Nach § 299 Abs. 2 StGB wird nämlich bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einem Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebs einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er ihn oder einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen in unlauterer Weise bevorzuge.
§ 4 Abs. 5 Nr. 10 S. 3 EStG, eine von Anfang an unter dem Gesichtspunkt des Leistungsfähigkeitsprinzips sehr umstrittene, mittlerweile aber (mit Recht!) wohl "akzeptierte" Vorschrift, will dieses Verbot durch ein Betriebsaufwendungs-Abzugsverbot wirksamer machen. Darüber hinaus schreibt diese Vorschrift (in ihrer heutigen Fassung) eine Information der Strafverfolgungsbehörden durch das FA vor, wenn sich für dieses Verdacht einer solchen Straftat ergibt.
Wann ist ein solcher Verdacht gegeben? Der BFH lässt mit Recht einen Anfangsverdacht genügen, obwohl im Gesetzgebungsverfahren – ganz sinnwidrig – von einem hinreichenden Tatverdacht die Rede gewesen ist.
Besteht die Informationspflicht auch dann, wenn eine strafrechtliche Ahndung voraussichtlich gar nicht mehr vorgenommen werden kann, z.B. wegen Strafverfolgungsverjährung? Muss das FA dies zumindest überschläglich prüfen, bevor es das Steuergeheimnis bricht? Verlangt das nicht ein schonender Umgang mit dem sog. Recht auf informationelle Selbstbestimmung?
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 14.07.2008, VII B 92/08