Leitsatz
1. Ein Vorläufigkeitsvermerk, der auf § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO und auf die Besteuerungsgrundlage hinweist, hinsichtlich derer die Steuer vorläufig festgesetzt wird, ist inhaltlich nach Grund und Umfang hinreichend bestimmt. Es ist nicht erforderlich, die betragsmäßige Auswirkung der vorläufigen Festsetzung anzugeben und die anhängigen Musterverfahren nach Gericht und Aktenzeichen zu bezeichnen.
2. Ein solcher Vorläufigkeitsvermerk beschränkt sich nicht auf die zum Zeitpunkt der vorläufigen Festsetzung anhängigen Verfahren. Sind die Verfahren, die der Vorläufigkeit zugrunde liegen, beendet und ist die vorläufige Festsetzung noch nicht für endgültig erklärt, bleibt die Festsetzung vorläufig, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist (§ 171 Abs. 8 S. 2 AO) wieder ein einschlägiges Verfahren anhängig wird.
3. Eine nach § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO vorläufige Festsetzung kann auch dann geändert werden, wenn der BFH oder das BVerfG eine Norm verfassungskonform auslegt.
4. Eine nach § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO vorläufige Festsetzung schränkt den verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutz des Steuerpflichtigen nicht ein. Macht er besondere Gründe materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art substanziiert geltend, kann trotz vorläufiger Festsetzung ein Rechtsschutzbedürfnis für ein Einspruchs- und Klageverfahren anzunehmen sein, in dem der Steuerpflichtige ggf. auch vorläufigen Rechtsschutz erlangen kann. Erklärt die Finanzbehörde die vorläufige Festsetzung (ggf. auf Antrag gem. § 165 Abs. 2 S. 4 AO) für endgültig oder entfällt ein Vorläufigkeitsvermerk in einem Änderungsbescheid, sind ebenfalls Einspruch und ggf. Klage möglich.
5. Die Sachdienlichkeit der Teileinspruchsentscheidung ist in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar. Ist eine Teileinspruchsentscheidung sachdienlich, entspricht ihr Erlass regelmäßig billigem Ermessen mit der Folge, dass eine weitere Begründung der Ermessensentscheidung nicht erforderlich ist.
6. Eine Teileinspruchsentscheidung ist auch dann sachdienlich, wenn sie nicht allein auf schnelleren Rechtsschutz im Interesse des Steuerpflichtigen gerichtet ist, sondern dem Interesse der Finanzverwaltung an einer zeitnahen Entscheidung über den entscheidungsreifen Teil eines Einspruchs dient, der ersichtlich nur zu dem Zweck eingelegt wird, die Steuerfestsetzung nicht bestandskräftig werden zu lassen.
7. In der Teileinspruchsentscheidung wird durch Angabe der betreffenden Besteuerungsgrundlage(n) hinreichend bestimmt, hinsichtlich welcher Teile Bestandskraft nicht eintreten soll.
8. Das JStG 2007 ist verfassungsmäßig zustande gekommen. Trotz der grundsätzlich vorgesehenen drei Beratungen eines Gesetzentwurfs muss eine vom Gesetzentwurf in erster Beratung abweichende Beschlussempfehlung nicht Gegenstand einer erneuten ersten Beratung sein. Ein Verstoß gegen § 81 Abs. 1 S. 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags (Frist für die zweite Beratung) führt nicht zur formellen Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes.
Normenkette
§ 165 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2 und 4, § 367 Abs. 2 S. 1, Abs. 2a S. 1 und 2 AO, § 102 FGO, Art. 19 Abs. 4, Art. 77 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Der Kläger erklärte Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus nicht selbstständiger Arbeit. Sein ESt-Bescheid war hinsichtlich mehrerer Punkte vorläufig. Der Einspruch führte zu einer Teileinspruchsentscheidung; nicht entschieden wurde über die Nichtabziehbarkeit von Rentenversicherungsbeiträgen als vorweggenommene Werbungskosten.
Das FG hob die Teileinspruchsentscheidung wegen fehlender Ermessenserwägungen sowie fehlender Darlegungen zur Sachdienlichkeit und zur Entscheidungsreife auf. Die Vorläufigkeitsvermerke seien mangels Bestimmtheit unwirksam, dies führe aber nicht zur Nichtigkeit des Steuerbescheids, sondern zur Verpflichtung des FA, den Kläger neu zu bescheiden.
Dagegen haben sowohl der Kläger als auch das FA Revision eingelegt.
Entscheidung
Das FG-Urteil (Niedersächsisches FG, Urteil vom 12.12.2007, 7 K 249/07, Haufe-Index 2011147, EFG 2008, 1082) wurde aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben, da ihm ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde liegt, weil während des Revisionsverfahrens mehrere geänderte Bescheide erlassen wurden. Die Revision des FA führte zur Abweisung der Klage; die des Klägers hatte keinen Erfolg.
Mit einer Verfassungsbeschwerde ist zu rechnen.
Hinweis
1. Ständig wechselnde Vorläufigkeitsvermerke sollen den Steuerpflichtigen die Einlegung von Rechtsbehelfen ersparen und die Steuerverwaltung entlasten. Wenn Steuerpflichtige aber angesichts der zahlreichen einfach- und verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen des Steuerrechts nicht nur wegen konkreter Streitpunkte Einspruch einlegen, sondern den Fall insgesamt offenhalten wollen, um von jedweden künftigen Rechtsprechungsänderungen profitieren zu können, kann das FA diese Möglichkeit nach § 367 Abs. 2a AO i.d.F. des JStG 2007 durch eine Teileinspruchsentscheidung abschneiden.
2. Der Kläger des Besprechungsurteils hatte eine ganze Batt...