Leitsatz
Hat das in Deutschland aufgewachsene, daher räumlich und kulturell auf Deutschland ausgerichtete, nunmehr volljährige Kind mit türkischer Abstammung und deutscher Staatsangehörigkeit für mehrere Jahre an einer Universität in der Türkei mit der Absicht studiert, den späteren Beruf in Deutschland auszuüben, und hat es sich während der Semesterferien jeweils in der Wohnung seiner Mutter in Deutschland aufgehalten und ist es nach dem Studium tatsächlich nach Deutschland zurückgekehrt, so spricht die Gesamtwürdigung der Umstände dafür, dass es auch während des Auslandsaufenthalts seinen inländischen Wohnsitz als Voraussetzung für den Kindergeldanspruch der Mutter beibehalten hat.
Sachverhalt
Die Mutter und ihre 1977 in Deutschland geborene Tochter sind türkischer Abstammung. Die Tochter wuchs in Deutschland auf, besuchte hier die Realschule, war vorübergehend arbeitslos, meldete sich bei der Kaufmännischen Schule zum Berufskolleg I an, wurde eingebürgert und suchte eine Ausbildungsstelle. Im Mai 1999 legte sie in der Türkei eine Abiturprüfung ab und begann an der Universität Istanbul ein Studium im Fachbereich Deutschlehrerin, das sie im Mai 2003 abschloss. Im Anschluss daran nahm sie in Deutschland ein Ergänzungsstudium in den Fächern Deutsch, Informatik und Politikwissenschaft auf. Während des Ergänzungsstudiums war die Tochter in Deutschland als Verkäuferin teilzeitbeschäftigt.
Entscheidung
Nach der Rechtsprechung des BFH hat die Mutter Anspruch auf Kindergeld, weil sie selbst im Inland über einen Wohnsitz verfügt und auch ihre Tochter im Inland einen Wohnsitz innehat. Der Wohnsitzbegriff setzt voraus, dass das Kind zum dauerhaften Wohnen geeignete Räume ständig oder mit einer gewissen Regelmäßigkeit, also nicht nur zu Erholungszwecken, nutzt und anhand äußerer objektiver Tatsachen prognostiziert werden kann, dass diese Wohnung beibehalten und benutzt werden wird. Auch zwei Wohnsitze sind möglich. Eine vorübergehende räumliche Trennung von den Eltern während eines Schulbesuchs oder Studiums von 3 bis 5 Jahren führt nicht zur Auflösung der familiären Bindungen. Ein solcher zeitlich beschränkter Auslandsaufenthalt zum Zwecke der Ausbildung und die Absicht, nach Abschluss der Ausbildung in das Inland zurückzukehren, reichen aber für das Beibehalten des inländischen Wohnsitzes nicht aus. Vielmehr muss der Auszubildende seinen Lebensmittelpunkt am bisherigen Wohnort beibehalten oder einen zweiten Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse im Ausland begründen. Bei einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt zur Ausbildung genügen kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken von 2 bis 3 Wochen pro Jahr nicht aus, um den Inlandswohnsitz aufrecht zu erhalten.
Ausgehend von diesen Grundsätzen entschied das FG: Mit der Familienwohnung sei gewährleistet gewesen, dass der Tochter zu jeder Zeit im Inland Wohnraum als Bleibe zur Verfügung stand. Die Tochter sei räumlich und kulturell auf Deutschland ausgerichtet, weil sie hier geboren wurde, aufgewachsen ist, eingebürgert wurde und nahezu ihre gesamte Schulausbildung im Inland absolvierte. Das ausländische Studium im Fach Deutschlehrer mit der Absicht, den späteren Beruf in Deutschland auszuüben, die Aufenthalte während der Semesterferien in der elterlichen Wohnung und die Annahme von Aushilfstätigkeiten in Deutschland dokumentierten den Willen des Kindes, sein künftiges Leben nach der Ausbildung in Deutschland fortzusetzen. Diese Prognose werde dadurch bestätigt, dass die Tochter nach Deutschland zurückgekehrt ist und hier ein Ergänzungsstudium aufgenommen hat. Das ausländische Studium habe nicht dazu gedient, die sprachliche und kulturelle Bindung an den heimatlichen Kulturkreis der Eltern herzustellen oder zu festigen oder auf einen weiteren Lebensweg im Ausland vorzubereiten. Auch die Unterbringung bei dem Onkel aus Gründen der Kosteneinsparung spreche nicht für die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes, weil die Tochter erwachsen war und nur bei Jugendlichen der Aufenthalt bei nahen Angehörigen wegen der notwendigen Betreuung von besonderer Bedeutung sei.
Hinweis
Das FG stellte fest, dass es für die Beurteilung der Frage, ob der inländische Wohnsitz eines ausländischen Kindes, das im Heimatland der Eltern zur Ausbildung bei Verwandten untergebracht ist, beibehalten wird, auf folgende Gesichtspunkte ankommt: Lebensalter des Kindes, Anpassung an die deutschen Lebensverhältnisse, Dauer des Auslandsaufenthalts bzw. dessen von vornherein bestehende zeitliche Begrenzung, gesellschaftliche und kulturelle Verhältnisse im Ausbildungsland, Art der Unterbringung im Ausbildungsland, Verfügbarkeit von Wohnraum im inländischen Elternhaus.
Link zur Entscheidung
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.10.2004, 2 K 190/03