Leitsatz
Beteiligt sich ein Unternehmer vorsätzlich durch Täuschung über die Identität des Abnehmers an einer USt-Hinterziehung, um hierdurch die nach der 6. EG-RL geschuldete Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs im Bestimmungsmitgliedstaat zu vermeiden, ist die Lieferung nicht nach § 6a UStG steuerfrei (Anschluss an EuGH-Urteil vom 07.12.2010, C-285/09, BFH/NV 2011, 396, BFH/PR 2011, 59).
Normenkette
§ 6a UStG 1999, § 3 Abs. 1, § 4, § 41 AO, Art. 28c der 6. EG-RL
Sachverhalt
Die Klägerin lieferte Pkw steuerfrei u.a. an in Italien ansässige "Gebietsimporteure", die die Pkw an unterschiedliche, gleichfalls in Italien ansässige "Autohäuser" verkauften. Die beiden Geschäftsführer waren aufgrund ihres Geständnisses, Abnehmer der Lieferungen seien nicht die Gebietsimporteure, sondern die Autohäuser gewesen, und das Ziel einer Steuerhinterziehung aufgrund fingierter Rechnungen in Italien sei ihnen klar gewesen, wegen USt-Hinterziehung im Inland verurteilt worden. Die Klage hatte, obwohl die Pkw zweifellos nach Italien gelangt sind, keinen Erfolg (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.11.2009, 12 K 273/04, EFG 2010, 673).
Entscheidung
Die Revision hatte aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen keinen Erfolg. Nur hinreichend substanziierten Einwendungen gegen die Feststellungen eines Strafurteils muss das FG nachgehen. Werden Beweisangebote, die – in der mündlichen Verhandlung vor dem FG erkennbar – vom FG nicht wahrgenommen werden, ist darauf zu achten, dass deren Nichterhebung in der mündlichen Verhandlung gerügt wird und die Protokollierung der Rüge im Sitzungsprotokoll erfolgt. Ist Letzteres versehentlich unterblieben, kann (und muss) die Berichtigung des Protokolls beantragt werden.
Hinweis
1. Der Unternehmer hat die Voraussetzungen der Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen (ig.) Lieferung nach § 6a UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV nachzuweisen. Sind die Nachweise unrichtig oder bestehen – vom FA hinreichend konkretisierte – Zweifel an deren Richtigkeit, ist die Lieferung steuerpflichtig, wenn diese Mängel den "sicheren Nachweis" der materiellen Anforderungen verhindern.
2. Auch wenn objektiv die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der ig. Lieferung vorliegen, ist die Lieferung steuerpflichtig, wenn der Unternehmer unter Verstoß gegen die genannten Nachweispflichten die Identität des Erwerbers verschleiert, um diesem im Bestimmungsmitgliedstaat eine Mehrwertsteuerhinterziehung zu ermöglichen. Diesen Zusammenhang zwischen ig. Lieferung und Besteuerung des ig. Erwerb und dessen Ziel der Verlagerung des Steueraufkommens auf den Bestimmungsmitgliedstaat durch die Erwerbsbesteuerung beim Abnehmer war entscheidend für den EuGH im Urteil vom 07.12.2010, C-285/09, "R" (BFH/NV 2011, 396, BFH-PR 2011, 59). Die Steuerfreiheit greift daher jedenfalls dann nicht ein, wenn die Erwerbsbesteuerung in einem anderen Mitgliedstaat durch eine absichtliche Täuschung über den Abnehmer unterlaufen wird.
3. Die Feststellung, welcher Leistungsbeziehung die Verschaffung der Verfügungsmacht zuzurechnen ist, und mithin die Feststellung, ob Rechnungsempfänger und Leistungsempfänger identisch sind, obliegt dem FG als Tatsacheninstanz und ist im Wesentlichen das Ergebnis einer tatsächlichen Würdigung. Der BFH kann solche Tatsachenwürdigungen nur daraufhin überprüfen, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen sind sowie mit den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen im Einklang stehen. Ist das zu bejahen, so ist die Tatsachenwürdigung selbst dann bindend, wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich wäre.
4. Das FG darf strafgerichtliche Feststellungen im FG-Verfahren verwerten, wenn gegen diese keine unter Beweisangebot substanziierten Einwendungen erhoben werden. Insoweit reicht nicht die nicht weiter substanziierte Darlegung, das Geständnis sei nur im Hinblick auf den Ausgang des Strafverfahrens erfolgt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 11.08.2011 – V R 50/09