Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
1. Einkünfte aus einer Tätigkeit als Insolvenzverwalter oder aus der Zwangsverwaltung von Liegenschaften sind, auch wenn sie von Rechtsanwälten erzielt werden, grundsätzlich den Einkünften aus sonstiger selbstständiger Arbeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG zuzurechnen.
2. Dies gilt auch dann, wenn der Insolvenzverwalter oder Zwangsverwalter die Tätigkeit unter Einsatz vorgebildeter Mitarbeiter ausübt, sofern er dabei selbst leitend und eigenverantwortlich tätig bleibt; insoweit ist § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 und 4 EStG entsprechend anzuwenden (Aufgabe der Rechtsprechung zur sog. Vervielfältigungstheorie).
Normenkette
§ 18 Abs. 1 EStG, § 56 InsO
Sachverhalt
Zwei zu einer Gesellschaft zusammengeschlossene Rechtsanwälte waren als Insolvenzverwalter tätig. Sie hatten dafür verschiedene qualifizierte Mitarbeiter eingesetzt. Sie rechneten ihre Tätigkeit zur Berufstätigkeit eines Rechtsanwalts und damit zur freiberuflichen Tätigkeit i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Das FA ordnete die Einkünfte hingegen als Einkünfte aus Gewerbebetrieb ein und setzte GewSt-Messbeträge fest: Die Tätigkeit als Insolvenzverwalter führe grundsätzlich zu Einkünften aus sonstiger selbstständiger Arbeit i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Würden dabei aber qualifizierte Mitarbeiter eingesetzt, handle es sich um gewerbliche Einkünfte. Diese Einschätzung teilte auch das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 18.08.2009, 13 K 47/06, Haufe-Index 2271147).
Entscheidung
Der BFH gab der klagenden Gesellschaft im Ergebnis recht und hob die angefochtenen GewSt-Messbescheide auf. Zwar sei die Tätigkeit eines Insolvenz-, Zwangs- und Vergleichsverwalters, auch wenn sie durch Rechtsanwälte ausgeübt werde, eine vermögensverwaltende Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG und keine freiberufliche Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die Einkünfte seien im Streitfall aber nicht wegen des Einsatzes qualifizierter Mitarbeiter als gewerbliche Einkünfte zu beurteilen. Eine Entlastung durch Mitarbeiter überschreite nur dann die durch § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG gezogenen Grenzen, wenn Entscheidungen über Art und Umfang von Tätigkeiten betroffen seien, die vom Insolvenzverwalter höchstpersönlich wahrgenommen werden müssten.
Eine solche Aufgabenverschiebung der Gesellschafter hin zu den angestellten Mitarbeitern sei aufgrund der Struktur der Insolvenzfallbearbeitung mit einem Gesellschafter sowie einem angestellten Anwalt und einer weiteren Angestellten je Insolvenzfall sowie angesichts der jährlich zwischen 3 und 48 Fällen nicht gegeben.
Hinweis
1. Die Tätigkeit eines Insolvenz-, Zwangs- und Vergleichsverwalters ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH eine vermögensverwaltende i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG und keine freiberufliche Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Dies gilt auch dann, wenn die Tätigkeit durch Rechtsanwälte ausgeübt wird.
2. An dieser Beurteilung ist insbesondere deshalb festzuhalten, weil sich die Tätigkeit als Insolvenzverwalter in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem verfassungsrechtlich geschützten – eigenständigen – Beruf entwickelt hat und es andernfalls zu einer nicht begründbaren Ungleichbehandlung zwischen Insolvenzverwaltern aus dem Kreis der freien Berufe i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG und den übrigen Insolvenzverwaltern käme, die nicht diesen Berufen angehören.
3. Die danach den Einkünften aus sonstiger selbstständiger Arbeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG zuzurechnende Insolvenzverwaltertätigkeit ist nicht wegen des Einsatzes qualifizierter Mitarbeiter als gewerbliche Tätigkeit zu beurteilen.
a) |
Bisher hatte der BFH im Anwendungsbereich des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG an der sog. Vervielfältigungstheorie festgehalten, nach der die sonstige selbstständige Arbeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG grundsätzlich persönlich – d.h. ohne die Mithilfe fachlich vorgebildeter Hilfskräfte – ausgeübt werden musste. |
b) |
Diese Rechtsprechung ist nunmehr aufgegeben: Weder der ursprünglichen Fassung des EStG 1934 noch dem Steueränderungsgesetz 1960, mit dem § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 und 4 EStG eingeführt wurden, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber den Einsatz fachlich vorgebildeter Mitarbeiter für freie Berufe einerseits und vermögensverwaltende Berufe i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG andererseits unterschiedlich beurteilt sehen wollte. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der Regelung in § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 und 4 EStG der Vervielfältigungstheorie insgesamt die Grundlage entzogen. Deshalb sind § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 und 4 EStG für die vermögensverwaltenden Berufe i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG entsprechend anzuwenden, d.h. eine Beteiligung qualifizierter Mitarbeiter ist unschädlich, wenn der Insolvenzverwalter – trotz des Mitarbeitereinsatzes – seinen Beruf leitend und eigenverantwortlich i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ausübt. |
c) |
Ob die Arbeitsleistung des Insolvenzverwalters im Einzelfall trotz des Einsatzes qualifizierter Mitarbeiter den "Stempel seiner Persönlichkeit" trägt, ist eine Frage der Tatsachenwürdigung, die dem FG obliegt. Die Maßstäbe dafür werd... |