Dipl.-Finw. (FH) Thomas Rupp
6.11.8.1 Die Vorlagebeschlüsse des BFH vom 28.06.2006 und vom 29.11.2006
Tz. 2104
Stand: EL 89 – ET: 03/2017
Der BFH hat in den Verfahren I R 84/04 und I R 116/04 (BetrSt-Verluste nach dem DBA USA) zwar anerkannt, dass die DBA die stliche Berücksichtigung von BetrSt-Verlusten ausschließen, wegen der europarechtlichen Problematik der Ungleichbehandlung mit inl Verlusten dem EUGH diese Frage aber zur Entsch vorgelegt.
In dem Grundsatzverfahren "Lidl", das der BFH (s Beschl des BFH v 28.06.2006, BStBl II 2006, 861) dem EuGH vorgelegt hat, geht es um die Frage der Vereinbarkeit der Abschaffung der Verlustverrechnungsmöglichkeit nach § 2a Abs 3 EStG mit dem EGV. In den Fällen, in denen D abkommensrechtlich mit EU-Mitgliedstaaten die Freistellung von im anderen Staat erzielten BetrSt-Eink von der inl Besteuerung vereinbart hat, kommt es systemimmanent auch zu einer Nichtabzugsfähigkeit von Verlusten aus diesen BetrSt im Inl. Erfüllt die BetrSt die Aktivitätsklausel des § 2a Abs 2 EStG, werden die Verluste iRd negativen Progressionsvorbehalts berücksichtigt; in sonstigen Fällen scheidet wegen Anwendung von § 2a Abs 1 Nr 2 EStG selbst dieser aus.
Das zweite Vorabentscheidungsverfahren des BFH (s Beschl des BFH v 28.06.2006, BStBl II 2006, 864, "Stahlwerk Ergste Westing") behandelt einen gleichgelagerten Fall in einem Drittstaat (USA).
Zur Problematik der Nachversteuerung von BetrSt-Verlusten hatte der BFH (s Beschl des BFH v 29.11.2006, BStBl II 2007, 392) dem EuGH ein weiteres Verfahren vorgelegt. Hier geht es um die Besteuerung positiver BetrSt-Eink (in Österreich), wenn Verluste früherer VZ im Inl berücksichtigt worden sind, für die aber nach den Vorschriften in Österreich ein Verlustabzug in anderen Jahren als dem Verlustjahr nicht beansprucht werden kann.
Von der in § 2a Abs 3 S 3 EStG aF bestimmten Nachversteuerung ausl BetrSt-Verluste, welche in einem vorangegangenen VZ nach § 2a Abs 3 S 1 EStG aF abgezogen worden sind, kann nach Maßgabe von § 2a Abs 3 S 4 EStG aF nur dann abgesehen werden, wenn der Stpfl nachweist, dass nach den für ihn geltenden Vorschriften des ausl Staates ein Abzug von Verlusten in anderen Jahren als dem Verlustjahr allgemein nicht beansprucht werden kann. Ein derartiger "allgemeiner" Ausschluss des Verlustabzugs fehlt nach bisheriger BFH-Meinung, wenn sich der Abzugsausschluss lediglich im Einzelfall verbietet. In der unterschiedlichen Behandlung von Stpfl mit ausl BetrSt-Verlusten einerseits und inl BetrSt-Verlusten andererseits könnte ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit liegen.
6.11.8.2 Drittstaatenverluste – Entscheidung des EuGH C-415/06 "Stahlwerk"
Tz. 2105
Stand: EL 89 – ET: 03/2017
Der EuGH hat (s EuGH, Beschl v 06.12.2007, C-415/06) im Verfahren "Stahlwerk" entschieden, dass der Abzug von Verlusten aus einer BetrSt vorwiegend die Ausübung der Niederlassungsfreiheit betrifft. Denn es sei der Anwendungsbereich von Art 43 EGV eröffnet, wenn eine in einem Mitgliedstaat ansässige natürliche oder jur Person eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene BetrSt, die keine von dieser vd Rechtspersönlichkeit hat, einrichtet und vollständig beherrscht. Soweit auch die Kap-Verkehrsfreiheit betroffen sei, handele es sich um Wirkungen, die eine zwangsläufige Folge einer evtl Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellten und die keine Prüfung anhand von Art 56 EG rechtfertigten. Ein EG-Grundrechtsverstoß kann bei einer Drittstaaten-BetrSt damit nicht geltend gemacht werden.
6.11.8.3 Die Grundaussagen der EuGH-Entscheidung vom 15.05.2008, C-414/06 "Lidl Belgium"
Tz. 2106
Stand: EL 89 – ET: 03/2017
Die inl Lidl Belgium GmbH & Co KG erzielte im VZ 1999 in ihrer in Luxemburg belegenen BetrSt einen Verlust. Sie begehrte, diesen Verlust mit ihren inl Eink zu verrechnen. Das FA versagte dies. Die Klage beim FG Ba-Wü blieb ohne Erfolg (s Urt des FG Ba-Wü v 30.06.2004, EFG 2004, 1694.)
Der BetrSt-Verlust wurde nach luxemburgischem StR vorgetragen und im Jahr 2003 mit einem BetrSt-Gewinn verrechnet.
Der EuGH stellte zunächst fest, dass Prüfungsmaßstab vorliegend allein die Niederlassungsfreiheit sei.
6.11.8.3.1 Erste Ebene der Prüfung: Beschränkung der Grundfreiheiten?
Tz. 2107
Stand: EL 89 – ET: 03/2017
Der EuGH bejaht eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, hält sie aber für gerechtfertigt.
Die Beschränkung liegt darin, dass die Verluste der ausl BetrSt anders als solche einer inl BetrSt nicht mit inl Gewinnen verrechnet werden können.
Ob diese Grundaussage heute noch so vom EuGH gesehen wird, ist umstritten, s Tz 2127ff.
6.11.8.3.2 Zweite Ebene der Prüfung: Rechtfertigungsgründe für eine Diskriminierung?
Tz. 2108
Stand: EL 89 – ET: 03/2017
Zur Rechtfertigung stellt der EuGH zunächst die allgemeinen Grundsätze dar. Die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist danach nur statthaft, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist sowie die Beschränkung zur Erreichung des fraglichen Ziels geeignet und erforderlich ist.
Der EuGH sieht vorliegend zwei Rechtfertigungsgründe als gegeben an:
a) Symmetriethese
Dies ist zum einen die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten. Sie wäre nach Auff des EuGH erheblich beeinträchtigt, wenn es den Gesellschaften möglich wäre, für die Berücksichtigung ihrer Verluste im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung oder für deren Berücksichtigung in einem anderen Mitgliedstaat zu optieren. Denn...